Unterstützen Sie unsere Arbeit und werden Sie Mitglied!

Ulm: Warum lebendige Krippen mit echten Tieren nicht zeitgemäß sind

Der Ulmer Weihnachtsmarkt wird auch künftig eine lebendige Krippe mit echten Tieren zeigen. Das hat der Aufsichtsrat der Ulm-Messe im Sommer 2025 beschlossen. Die Entscheidung wurde öffentlich kommuniziert und wird von Stadt und Veranstalter mit verschiedenen Argumenten begründet.

Nach Medienberichten und offiziellen Angaben umfasst die lebendige Krippe rund 300 Quadratmeter. Eingesetzt werden Esel mit Fohlen sowie Schafe mit Lämmern. Die Verantwortlichen betonen, dass umfangreiche Maßnahmen zum Tierwohl ergriffen würden und verweisen unter anderem auf eine Studie aus dem Jahr 2024, die keine Hinweise auf anhaltenden Stress oder Schmerzen bei den untersuchten Tieren festgestellt habe.

Als Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e. V. halten wir es für wichtig, diese Argumente nicht auszublenden, sondern offen zu benennen – und zugleich tierschutzfachlich einzuordnen.

Welche Argumente werden für die lebendige Krippe genannt?

In der öffentlichen Kommunikation werden insbesondere folgende Punkte angeführt:

•Die lebendige Krippe sei eine jahrzehntelange Tradition und ein emotionaler Anziehungspunkt für viele Besucherinnen und Besucher.

•Die Tiere würden in Stallanlagen mit Rückzugsmöglichkeiten untergebracht, nachts versorgt und regelmäßig tierärztlich betreut.

•Laut Stadt und Veranstalter sei die Haltung mit den geltenden tierschutzrechtlichen Vorgaben vereinbar.

•Eine Studie aus dem Jahr 2024 komme zu dem Ergebnis, dass bei den untersuchten Tieren keine dauerhaften Stress- oder Schmerzreaktionen festgestellt worden seien.

Diese Aspekte verdienen eine sachliche Betrachtung. Aus unserer Sicht greifen sie jedoch zu kurz.

Warum wir diese Argumente kritisch sehen

1. Die zentrale Frage ist nicht die Betreuung, sondern der Ort

Auch wenn Tiere begleitet und kontrolliert werden: Ein Weihnachtsmarkt ist ein öffentlicher, stark frequentierter Raum mit Lärm, Menschenmengen, wechselnden Reizen, Beleuchtung, Gerüchen und nächtlicher Aktivität.

Die entscheidende Frage lautet daher nicht, wie gut Tiere dort betreut werden, sondern ob dieses Umfeld grundsätzlich geeignet ist – insbesondere für Tiere mit ausgeprägtem Ruhe-, Bewegungs- und Rückzugsbedarf.

2. Studien sind Momentaufnahmen, keine Grundsatzentscheidung

Untersuchungen erfassen in der Regel begrenzte Zeiträume und ausgewählte Stressparameter. Subtile oder chronische Belastungen – etwa durch dauerhafte Reizüberflutung, eingeschränkte Wahlfreiheit oder fehlende Rückzugsmöglichkeiten im Marktgeschehen – lassen sich dadurch nur eingeschränkt abbilden.

Eine einzelne Studie kann daher nicht beantworten, ob der Einsatz von Tieren in einem solchen Umfeld grundsätzlich verantwortbar ist.

3. Jungtiere sind besonders sensibel

In Ulm werden Esel mit Fohlen sowie Schafe mit Lämmern eingesetzt. Jungtiere befinden sich in sensiblen Entwicklungsphasen und reagieren besonders empfindlich auf Stress, Unruhe und wechselnde Umwelteinflüsse.

Dass gerade sie Teil einer mehrwöchigen Präsentation im Weihnachtsmarktumfeld sind, halten wir unabhängig von Einzelfallbetreuung für problematisch.

4. Rechtliche Zulässigkeit ersetzt keine ethische Bewertung

Dass eine Praxis rechtlich zulässig ist, bedeutet nicht automatisch, dass sie zeitgemäß oder ethisch angemessen ist. Gesellschaftliche Standards im Umgang mit Tieren entwickeln sich weiter – auch im öffentlichen Raum.

5. Tradition ist kein Tierschutzargument

Traditionen verändern sich. Heute stehen zahlreiche tierfreie Alternativen zur Verfügung, die Atmosphäre, Symbolik und Familienfreundlichkeit eines Weihnachtsmarkts bewahren können, ohne Tiere in ein potenziell belastendes Umfeld zu bringen.

Öffentlicher Raum bedeutet auch nicht kalkulierbare Risiken

Ein weiterer Aspekt wird in der öffentlichen Debatte häufig unterschätzt: Restrisiken im öffentlichen Raum.

Ein aktueller Vorfall in Erbach (Hessen) verdeutlicht dies. Dort kam es auf einem Weihnachtsmarkt zu einem Übergriff auf zwei Esel, die im Rahmen einer lebendigen Krippe eingesetzt wurden. Der Vorfall ereignete sich trotz organisatorischer Strukturen und Betreuung.

Weihnachtsmärkte sind geprägt von:

  • hohem Besucheraufkommen,
  • Alkoholkonsum,
  • emotional aufgeladener Stimmung,
  • unübersichtlichen Situationen in den Abend- und Nachtstunden.

 

Solche Faktoren lassen sich nicht vollständig kontrollieren – unabhängig davon, wie sorgfältig eine Veranstaltung geplant ist. Aus tierschutzfachlicher Sicht stellt sich daher nicht nur die Frage nach organisatorischen Maßnahmen, sondern nach der grundsätzlichen Angemessenheit, Tiere solchen Rahmenbedingungen auszusetzen.

Unser Fazit

Wir stellen nicht in Abrede, dass sich Verantwortliche um gute Bedingungen bemühen.

Wir sind jedoch überzeugt:

Lebendige Krippen mit echten Tieren gehören nicht in das Umfeld eines Weihnachtsmarkts – auch dann nicht, wenn sie gut gemeint und begleitet sind.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit Tieren bedeutet, sie nicht als Kulisse für Veranstaltungen zu nutzen, sondern ihre artspezifischen Bedürfnisse konsequent in den Mittelpunkt zu stellen.

So können Sie aktiv werden

Wenn auch Sie der Meinung sind, dass der Einsatz lebender Tiere auf Weihnachtsmärkten nicht mehr zeitgemäß ist, können Sie sich beteiligen:

  • Schreiben Sie sachlich an die Stadt Ulm und die Verantwortlichen des Weihnachtsmarkts
    und teilen Sie Ihre Einschätzung mit.
  • Eine kurze Textvorlage sowie die relevanten Kontaktadressen stellen wir hier zur Verfügung.

Je mehr Menschen sich respektvoll und konstruktiv einbringen, desto deutlicher wird das gesellschaftliche Signal.

Stadt Ulm

Betreff: Lebendige Krippe auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt – Bitte um erneute Prüfung

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Damen und Herren,

mit Interesse habe ich die öffentliche Berichterstattung zur Entscheidung verfolgt, die lebendige Krippe auch weiterhin als Teil des Ulmer Weihnachtsmarkts zu zeigen.

Nach offiziellen Angaben umfasst die Krippe rund 300 Quadratmeter und zeigt lebende Tiere, darunter Esel mit Fohlen sowie Schafe mit Lämmern. Stadt und Veranstalter betonen, dass umfangreiche Maßnahmen zum Tierwohl umgesetzt würden und verweisen unter anderem auf eine Studie aus dem Jahr 2024, die keine Hinweise auf anhaltenden Stress oder Schmerzen bei den untersuchten Tieren festgestellt habe.

Ich möchte diese Argumente ausdrücklich aufgreifen – und dennoch meine grundsätzlichen Bedenken äußern.

Aus meiner Sicht stellt sich weniger die Frage, ob Tiere auf einem Weihnachtsmarkt begleitet, kontrolliert oder tierärztlich betreut werden, sondern ob ein Weihnachtsmarkt als öffentlicher, stark frequentierter Raum grundsätzlich ein geeigneter Aufenthaltsort für Tiere ist, insbesondere für Jungtiere.

Weihnachtsmärkte sind geprägt von:

  • hohem Besucheraufkommen,
  • Lärm und wechselnden Reizen,
  • Beleuchtung und Aktivitäten bis in die Abend- und Nachtstunden,
  • sowie Situationen, die sich nicht vollständig kontrollieren lassen.

Auch wenn einzelne Studien keine akuten Stressreaktionen messen, können solche Untersuchungen aus meiner Sicht nicht abschließend bewerten, ob eine mehrwöchige Präsentation von Tieren in einem solchen Umfeld langfristig angemessen ist. Studien erfassen in der Regel begrenzte Zeiträume und ausgewählte Parameter, nicht jedoch alle Formen subtiler oder chronischer Belastung.

Hinzu kommt, dass in Ulm auch Jungtiere eingesetzt werden. Gerade Fohlen und Lämmer befinden sich in sensiblen Entwicklungsphasen und reagieren besonders empfindlich auf Umweltreize. Unabhängig von der Qualität einzelner Maßnahmen halte ich es daher für fraglich, ob dieses Umfeld ihren artspezifischen Bedürfnissen gerecht wird.

Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist: Öffentliche Weihnachtsmärkte bringen auch Restrisiken mit sich. Ein aktueller Vorfall in Hessen, bei dem es im Rahmen einer lebendigen Krippe zu einem Übergriff auf Esel kam, hat gezeigt, dass selbst gut organisierte Veranstaltungen nicht alle Risiken ausschließen können.

Mir ist bewusst, dass die lebendige Krippe für viele Menschen eine lange Tradition hat. Gleichzeitig bin ich der Ansicht, dass sich gesellschaftliche Erwartungen an den Umgang mit Tieren weiterentwickeln. Heute stehen zahlreiche tierfreie Alternativen zur Verfügung, die Symbolik und Atmosphäre eines Weihnachtsmarkts bewahren können, ohne Tiere in ein potenziell belastendes Umfeld zu bringen.

Ich möchte Sie daher bitten, den Einsatz lebender Tiere auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt noch einmal kritisch zu überprüfen und zu prüfen, ob künftig eine tierfreie Gestaltung möglich ist.

Vielen Dank, dass Sie sich mit dieser Rückmeldung auseinandersetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Betreff: Lebendige Krippe auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt – Bitte um erneute Bewertung

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Veranstalter des Ulmer Weihnachtsmarkts möchte ich mich mit dieser Nachricht an Sie wenden, da Sie maßgeblich für die Ausgestaltung und Durchführung der Veranstaltung verantwortlich sind.

In der öffentlichen Berichterstattung wurde kommuniziert, dass die lebendige Krippe auch künftig Teil des Weihnachtsmarkts bleibt. Nach offiziellen Angaben umfasst sie rund 300 Quadratmeter und zeigt lebende Tiere, darunter Esel mit Fohlen sowie Schafe mit Lämmern. Zudem wird darauf verwiesen, dass umfangreiche Maßnahmen zum Tierwohl umgesetzt würden und eine Studie aus dem Jahr 2024 keine Hinweise auf anhaltenden Stress oder Schmerzen bei den untersuchten Tieren festgestellt habe.

Ich möchte diese Argumente ausdrücklich aufgreifen, gleichzeitig aber meine grundsätzlichen Bedenken äußern.

Aus meiner Sicht stellt sich weniger die Frage, wie gut Tiere im Rahmen des Weihnachtsmarkts betreut werden, sondern ob ein Weihnachtsmarkt als öffentlicher, stark frequentierter Veranstaltungsort grundsätzlich ein geeigneter Ort für Tiere ist – insbesondere für Jungtiere.

Der Ulmer Weihnachtsmarkt ist geprägt von:

  • hohem Besucheraufkommen,
  • Lärm und wechselnden Reizen,
  • Beleuchtung und Aktivitäten bis in die Abend- und Nachtstunden,
  • sowie Situationen, die sich organisatorisch nicht vollständig kontrollieren lassen.

Auch wenn einzelne Studien keine akuten Stressreaktionen messen, können solche Untersuchungen aus meiner Sicht nicht abschließend beurteilen, ob die mehrwöchige Präsentation von Tieren in diesem Umfeld langfristig angemessen ist. Studien erfassen begrenzte Zeiträume und ausgewählte Parameter, nicht jedoch alle Formen subtiler oder chronischer Belastung.

Hinzu kommt, dass in Ulm auch Jungtiere eingesetzt werden. Gerade Fohlen und Lämmer befinden sich in sensiblen Entwicklungsphasen und reagieren besonders empfindlich auf Umweltreize. Unabhängig von der Qualität einzelner Maßnahmen halte ich es daher für fraglich, ob dieses Setting ihren artspezifischen Bedürfnissen gerecht wird.

Ein weiterer Aspekt betrifft Restrisiken im öffentlichen Raum. Ein aktueller Vorfall auf einem Weihnachtsmarkt in Hessen, bei dem es im Rahmen einer lebendigen Krippe zu einem Übergriff auf Esel kam, hat gezeigt, dass selbst gut organisierte Veranstaltungen nicht alle Risiken ausschließen können.

Mir ist bewusst, dass die lebendige Krippe für viele Besucherinnen und Besucher eine traditionelle Bedeutung hat. Gleichzeitig bin ich der Ansicht, dass sich Erwartungen an einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren weiterentwickeln. Als Veranstalter haben Sie aus meiner Sicht die Möglichkeit, hier neue Wege zu gehen und tierfreie Alternativen zu prüfen, die Atmosphäre und Symbolik des Weihnachtsmarkts bewahren, ohne Tiere diesem Umfeld auszusetzen.

Ich möchte Sie daher bitten, den Einsatz lebender Tiere auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt noch einmal kritisch zu überdenken und zu prüfen, ob künftig eine tierfreie Gestaltung möglich ist.

Vielen Dank für Ihre Zeit und die Berücksichtigung dieser Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüßen

Betreff: Sponsoring Ulmer Weihnachtsmarkt – Nachfrage zur lebendigen Krippe

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe gesehen, dass Ihr Unternehmen den Ulmer Weihnachtsmarkt unterstützt.

In der öffentlichen Berichterstattung wird derzeit auch die lebendige Krippe mit echten Tieren thematisiert, die weiterhin Teil des Weihnachtsmarkts ist. Da mir ein verantwortungsvoller Umgang mit Tieren wichtig ist, interessiert mich, wie Sie als Sponsor diese Praxis einordnen.

Unabhängig von organisatorischen Maßnahmen stellt sich für mich die grundsätzliche Frage, ob ein stark frequentierter Weihnachtsmarkt als öffentlicher Raum ein geeigneter Ort für Tiere – insbesondere für Jungtiere – ist.

Ich würde mich über eine kurze Rückmeldung freuen, wie Sie dieses Thema im Rahmen Ihres Engagements bewerten.

Vielen Dank für Ihre Zeit.

Mit freundlichen Grüßen

Teile diesen Beitrag:

Ähnliche Beiträge

Verpasse keine Tierrechte News mehr!

Abonniere unseren Newsletter und bleibe auf dem Laufenden

Förderung betreuter Taubenschläge nach dem ,,Augsburger Modell" in Baden-Württemberg

Unsere Städte in Baden-Württemberg sind überfüllt mit hunderttausenden von Stadttauben, Teile der Bevölkerung fühlen sich belästigt, aber die betroffenen Kommunen und Vereine haben nicht die nötigen Mittel und ein nachhaltiges und erfolgreiches Taubenmanagement mit betreuten Tabenschlägen nach dem Augsburger Modell zu praktizieren. Mit Hilfe einer Förderung durch das Land Baden-Württemberg könnte dieses große Problem gelöst werden. 

In regelmäßigen Abständen erreichen unseren Verein Bitten von Bürger*innen, sie bei der Umsetzung eines tierschutz-adäquaten Stadttaubenmanagements zu unterstützen. Einerseits sehen viele Gemeinden die Stadttaubensituation als Störfaktor, andererseits gibt es wenig Bereitschaft, da die Mittel fehlen, sich der Situation angemessen anzunehmen.

Dabei ist die einzige wirksame und tierschutzgerechte sowie auch tierschutzrechtlich akzeptable Methode, um Taubenpopulationen auf Dauer zu verkleinern bzw. auf einer überschaubaren Zahl zu halten die Einrichtung betreuter Taubenschläge nach dem Augsburger Modell an geeigneten Plätzen, an denen die Tiere mit artgerechtem Futter sowie Wasser versorgt und an den Ort gebunden werden (1). Dadurch nimmt die Präsenz der Futterschwärme in der Stadt ab. In den Taubenschlägen können unkompliziert die Eier gegen Gipsatrappen getauscht werden und es kann somit die Taubenpopulationkontrolliert werden indem sie zunächst verringert und dann auf einem akzeptablen Niveau gehalten wird. 

Die bevorzugte Nahrung von (Stadt-)Tauben besteht hauptsächlich aus Körnern und Samen, die in den Städten kaum vorhanden sind. Stadttauben können Ähren nicht entspelzen, was verhindert, dass sie – wie landläufig fälschlicher Weise angenommen wird – zum “Feldern” ins Umland fliegen und wie Wildvögel auf Wiesen und auf Feldern Nahrung aufnehmen können. Somit haben die Tauben keine Möglichkeit, in Städten an artgerechtes Futter zu gelangen. Sie sind darauf angewiesen, sämtliche Abfälle der Menschen zu essen, die sie auffinden können. Dies führt auch zu einem vermehrten Absatz des flüssigen Hungerkots, in dessen Folge es zu einer vermehrten Verschmutzung der Innenstädte kommt, von der sich Teile der Bevölkerung belästigt fühlen. Werden die Tiere artgerecht gefüttert, kann diesbezüglich eine Verbesserung erreicht werden. Zudem fördern hohe Populationsdichten von Stadttauben das Auftreten von Taubenspezifischen Infektionskrankheiten– die zwar für den Menschen kein erhöhtes Infektionsrisiko darstellen, die Tiere jedoch schwächen und zu erheblichen Leiden bis hin zum Verenden führen können.

In vielen Kommunen existieren ordnungsrechtliche Fütterungsverbote, die nur bei vorhandenem Stadttaubenmanagement rechtskonform sind.

In betreuten Taubenschlägen bekommen die Tiere ausreichend artgerechtes Futter, zudem können sie dort Paare bilden und brüten. Ihre Eier werden gegen Attrappen aus Gips ausgetauscht, sodass die Tiere weiter an ihr Nest gebunden bleiben, aber keine Küken aufziehen werden.

Einem Gutachten (Arleth C., Hübel J.: Rechtsgutachten Stadttaubenschutz.) zufolge handelt es sich bei Stadttaubenum Fundtiere (2). Die heutigen Stadttauben sind die Nachfahren von einst ausgesetzten Haustieren. Diese Tiere sind nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, da der Mensch sie im Laufe der Domestizierung über Jahrtausende in seine Abhängigkeit züchtete. Daher haben Kommunen die Pflicht zur Lösung dieser dauerhaften menschengemachten tierschutzrechtlichen Herausforderung.

Trotzdem sind es meistens Privatpersonen, die die Kosten für die Anschaffung eines Taubenschlages (bspw. ein Bauwagen, Container o.ä.) und das Futter tragen. 

Beispielsweise stellt die Landestierschutzbeauftragte von Berlin, Frau Dr. Kathrin Hermann, zu diesem Zweck Gelder aus dem Berliner Haushalt zur Verfügung. Dieses kann von den Bezirken für den Bau von Pilot-Taubenschlägen abgerufen werden. Um die Mittel zielgerichtet einsetzen zu können, sollten folgende drei Anforderungen erfüllt sein:

1. EIn geeigneter Standort; 

2. die Sicherstellung der Betreuung des Taubenschlages; 

3. ein(e) Ansprechpartner*in innerhalb der Bezirksverwaltung.

 

Die Errichtung betreuter Taubenschlägen an geeigneten Standorten nach dem Augsburger Modell, in denen Tauben artgerechtes Futter angeboten und Eier durch Attrappen ausgetauscht werden, ist die einzig tierschutzgerechte und zu gleich die erfolgversprechendste und nachhaltigste Möglichkeit, die Stadttaubenpopulation deutlich zu verringern,  Tierleid zu vermeiden und die Kosten der Städte im Hinblick auf Reinigungs- und Vergrämungsmaßnahmen deutlich zu senken. Auch werden die Bürger*innen stark entlastet – die Bürgerbeschwerden entfallen. Der Bau von betreuten Taubenschlägen nach dem Augsburger Modell wird auch vom Tierschutzbeirat des Landes Niedersachsen beschrieben: Empfehlungen zur tierschutzgerechten Bestandskontrolle der Stadttaubenpopulation. Überarbeitete Fassung von 2019 (4), und wurde auch in den – mittlerweile veralteten – Empfehlungen des Landestierschutzbeirats Baden-Württemberg zur Regulierung der Taubenpopulation in Städten, herausgegeben vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg im Jahr 2005, beschrieben.

 

Kosten für 1 Taubenschlag ca. 500 Tauben
Bau Taubenschlag inclusive Innenausstattung ca. 25.000,- €

Betreuungs- und Versorgungskosten jährlich ca. 15.000,- €

Bisher sind keine Fördermittel für gemeinnützige Taubenvereine und Kommunen im Haushalt des Landes vorgesehen. 

Zukünftig sollten, wie seit 2022 auch im Land Niedersachsen, Haushaltsmittel für die Errichtung und die Unterhaltung betreuter Taubenschläge bereitgestellt werden, die eingetragene Tierschutzorganisationen und Gemeinden in Baden-Württemberg unterstützen.

Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieser Petition, bitten Sie als zuständigen Minsister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz daher um Förderung dieser wichtigen Maßnahme zur Eindämmung der Taubenpopulationen in den Kommunen. 

Wir ersuchen dabei um die Förderung des Baus von betreuten Taubenschlägen nach dem Ausburger Modell, der Einrichtung von betreuten Futterplätzen für die noch nicht an einen Schlag gebundenen “noch-obdachlosen” Tauben oder für Areale, in denen ein Bedarf herrscht, jedoch Taubenschläge aufgrund örtlicher Gegebenheiten nicht einrichtbar sind, sowie die Übernahme der laufenden Kosten für die Betreibung, einschließlich der Pflege, ggf. tiermedizinischen Versorgung und des artgerechten Futters in den Taubenschlägen ebenso wie an den betreuten Futterplätzen.

Zudem fordern wir eine Verpflichtung aller Kommunen mit höherer Stadttaubendichte zur Errichtung von Taubenschlägen – bedarfsweise in Verbindung mit betreuten Futterplätzen – zur Populationskontrolle und Fütterung der Tiere, um das Leid der Tiere zu vermindern, öffentliche Kosten zu senken, Bürgerbeschwerden abzuwenden, und letztlich damit eine großflächige Populationskontrolle in Baden-Württemberg zu erreichen.

Diese Maßnahmen der Bestandskontrolle, artgerechten Fütterung sowie Unterbringung der Tauben gem. dem Augsburger Modell würden dazu beitragen, den “ethischen Tierschutz” in Baden-Württemberg zu verwirklichen. Dieser erlangte bereits vor über 20 Jahren mit Zweidrittelmehrheiten des Bundesrates und des Bundetags Verfassungsrang durch die Implementierung des “Staatsziels Tierschutz” in Artikel 20a Grundgesetz im Jahre 2002. Gemäß amtlicher Begründung des Bundestags trägt dies „dem Gebot eines sittlich verantworteten Umgangs des Menschen mit dem Tier Rechnung“ (5). „Daraus folgt die Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen.“ Die Staatszielbestimmung ruft insbesondere die Legislative und Exekutive dazu auf, die Belange und den Schutz der Tiere zu verwirklichen. Es geht beim Staatsziel Tierschutz um nicht weniger, als den Schutz der Tiere vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden, Zerstörung ihrer Lebensräume und ihrer Achtung als unsere Mitgeschöpfe.

Ein auch für andere Bundesländer wegweisender Umgang mit den Stadttauben entsprechend den Vorgaben des Tierschutzgesetzes (einschlägig sind hier die Paragraphen 1, 2 und 17), sowie des ethischen Tierschutzes in Umsetzung der Staatszielbestimmung wäre zeitgemäß und Baden-Württemberg soll hier eine Vorreiterrolle einehmen und vorbildhaft für andere Bundesländer den ethischen Tierschutz verwirklichen.

 

Anhang

Definition Stadttauben

Sog. Stadttauben (Columba livia forma domestica) sind Nachkommen von Haustauben wie Brief-, Hochzeits- oder sonstige Zuchttauben, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu ihrem ursprünglichen Taubenschlag zurückgefunden und sich einer Stadttaubenpopulation angeschlossen haben. 
Tauben wurden früher als Nutztiere gehalten (als Fleisch-, Eier- und Düngerlieferanten oder als sog. Brieftauben zur Übermittlung von Nachrichten), als sie dann nicht mehr gebraucht wurden, wurden viele Taubenschläge geschlossen. Es handelt sich bei den Stadttauben somit nicht um Wildtiere, sondern um obdachlose Haustiere. Sie wurden über Jahrtausende vom Menschen domestiziert. Diese Domestikation ist nicht mehr umkehrbar(vgl. Rechtsgutachten von Dr. jur. Christian Arleth/Dr. med. vet. Jens Hübel, (2))

Augsburger Modell

99 % der Städte mit Taubenmanagement in Deutschland entscheiden sich für das nachgewiesen erfolgreiche Augsburger Modell. Die Erfolgskontrolle erfolgt durch Zählung derausgetauschten Eier in einem Schlag, dem Sinken der Reinigungskosten auf privatem und öffentlichem Gelände und dem Ausbleiben von Beschwerden der Bürger und Gewerbetreibenden (Einzelhandel, Bäckereien, Gastronomen). Dies ist mit Abstand die erfolgreichste, effektivste, nachhaltigste, tierschutzkonformste und kostengünstigste Lösung für die Kommunen. 

Die Umsetzung des Konzepts basiert auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen und praktischen Erfahrungen von vielen verschiedenen Kommunen und wird als alleiniges Konzept vom zuständigen Ministerium in Baden-Württemberg empfohlen. 

Ziel des Augsburger Models ist die Reduktion der Population durch Eiaustausch. Sobald die Tauben – nach einer Phase des schrittweisen „Hineinlotsens“ der Tiere in den Taubenschlag – im Schlag angesiedelt sind, verbringen sie 80 % des Tages im Schlag und setzen somit den Hauptteil des Kotes im Schlag ab, der einfach und hygienisch entfernt werden kann. Die Tauben müssen nicht zur Nahrungssuche auf die Straßen und in die Fußgängerzonen. Die Fußgänger und die Gastronomie werden nicht mehr belästigt und die Reinigung der umliegenden Häuser und Straßen von Taubenkot entfällt.

Vorteile Taubenschlag, nach dem Augsburger Modell:

  • Durch den Eiertausch im Schlag wird eine Vermehrung der Tauben verhindert, die Population nimmt ab;
  • Tauben befinden sich 80 % des Tages im Schlag. Der Kot bleibt im Schlag und kann mühelos entfernt werden;
  • Tauben sitzen nur noch selten und vereinzelt auf den Dächern und Balkonen, sie sind auf öffentlichen Flächen, Märkten und den Außenflächen der Gastronomiebetriebe nicht mehr Nahrungs-suchend anzutreffen.
  • Das Leid der Tiere wird vermindert und deren Gesundheit und Wohlbefinden verbessert. (Vgl. dazu den Grundsatz des Tierschutzgesetzes in § 1 Satz 1: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. […]”)

 

Quellen

(1) Weyrather, A. (2021, Hrsg. Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.: Grundlagen für ein effizientes, tierschutzgerechtes Stadttaubenmanagement in deutschen (Groß)Städten. Eine Handreichung für die Praxis; https://www.tierrechte.de/wp-content/uploads/2021/09/2021-HB-Stadttaubenmanagement_web.pdf

(2) Arleth C., Hübel J. (2021): Rechtsgutachten Stadttaubenschutz. Hrsg.: Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskiminierung ,Hier kostenlos herunterladen.

(3) Landestierschutzbeauftragte Berlin: Bau von Pilot-Taubenschlägen in Berliner Bezirken, https://www.berlin.de/lb/tierschutz/tauben/artikel.1290446.php

(4) Tierschutzbeirat des Landes Niedersachsen: Empfehlungen zur tierschutzgerechten Bestandskontrolle der Stadttaubenpopulation. Überarbeitete Fassung von 2019. https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/service/publikationen_downloads/tiergesundheit-tierschutz-5295.html

 (5) Bundestags-Drucksache14/8860 vom 23.04.2002 https://dserver.bundestag.de/btd/14/088/1408860.pdf

 

Für die fachliche Unterstützung bei der Ausarbeitung dieser Petition bedanken wir uns bei:

Dr. Norbert Alzmann, Biologe und Bioethiker

Antje Konz, Inhaberin der Firma VitaGood

Dr. Julia Stubenbord, Landestierschutzbeauftragte Baden-Württemberg