Login
Tierethik, Tierrechte

Bruder Bulle – Schwester Huhn

Pfarrer Dr. Ulrich Seidel,erster Vorsitzender der Aktion Kirche und Tiere (AKUT) e.V. und Kuratoriumsmitglied des Institutes für Theologische Zoologie

062

Foto: Vivian Wichmann

Rede beim Ersten Kirchentag Mensch und Tier vom 27.-29.08.2010 in Dortmund

Welch gewaltige Vorlage gibt uns der Kirchentag hier: Bruder Bulle und Schwester Huhn und das nicht ein­mal in Anführungszeichen, was doch heißen will, dass der Kirchentag das wirklich so meint: Bruder und Schwes­ter sind sie uns, auch wenn sie uns als Aktion Kirche und Tiere regelmäßig den Kirchentagsgottes­dienst für Mensch und Tier strei­chen! „Bruder und Schwester" -  das sind doch die gewaltigsten Ehrentitel, die der Mensch zu vergeben hat! „Alle Menschen werden Brüder" - das ist das Schillersche Mensch­heitsideal, das uns zu Silvester in Beethovens Neunter entgegenschallt, und daran rackern wir uns ab bis heute! Und wenn gar alle Geschöp­fe uns Schwestern und Brüder sein sollen, also die ganze Ökumene, der ganze nicht nur vom Menschen be­wohnte Erdkreis, der alle Geschöpfe einschließt - nun, das muss das Reich Gottes auf Erden sein! Oder es ist die Erfüllung des Missionsauftrages, den der auferstandene Christus seinen Jüngern gegeben hat: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evange­lium aller Kreatur" (Markus 16), den Schöpfungsfrieden für alle Lebe­wesen - übrigens eines der Leit­worte von AKUT.

„Bruder Mastbulle und Schwes­ter Käfighuhn" - das klingt schon etwas anders, aber entweder gehören alle Tiere dazu oder keins. Das sind durchaus neue Klänge in der Kirche, denn die Begründung der Ablehnung des Gottesdienstes Mensch und Tier lautet stereotyp: Tiere sind für die Kirche eigentlich kein Thema, son­dern nur der Mensch, es gäbe Wich­tigeres als sie.

Und doch drängen sie von außen in die Kirchen und die Gewissen der Menschen, diese Abermillionen Kreaturen, die leben wollen wie wir, welche Schmerz und Leid empfin­den wie wir. „Fleisch in Massen", das ist die „Tier- und Fleischpro­duktion", was doch zeigt, dass die Tiere völlig vergegenständlicht und versachlicht sind. Was ist denn das Tier in der Fleischproduktion? Sind sie nicht ein bloßes Halbfertigpro­dukt und das Schnitzel oder die Hüh­nerbrüste, das Fertig- oder Endpro­dukt, der Zweck des Ganzen?

Nun, dann kannst du deinem Schöpfer nur danken, dass - als von Gott die Schicksale verteilt wurden - du kein „Bruder Mastbulle" oder eine „Schwester Käfighuhn" gewor­den bist. Sonst hättest du die ganze Macht und Gewalt des Menschen zu spüren gekriegt ... Bruder und Schwester Tier! Näher geht es nicht. Das ist Verwandtschaft ersten Gra­des, die wir durchaus bei unseren Heimtieren erfahren können. Uns, den Wissenden, ist klar: hier scheint er durch, der Heilige Franziskus von Assisi, der den Tieren von Gottes Liebe gepredigt hat und eine Schöp­fungsliebe verkörpert, die im Chris­tentum einzig da steht, auch wenn wir durchaus den Albert Schweitzer dazu rechnen dürfen. Und noch ehe die biologische Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts es nach­wies, wusste schon Franziskus: alle Lebewesen sind verwandt, sie füh­len wie wir, können sich freuen und trauern und sind sterblich wie wir. Sie teilen mit uns das gesamte Ge­fühlsspektrum. „Also sind sie uns gleich gestellte Werke des allmäch­tigen Schöpfers."

Aber sofort tönt es aus allen Ecken der gelehrten Philosophie und Theologie: „Nein, bitte keine Ver­menschlichung der Tiere. Beachte den Unterschied, der Mensch ist der Mittelpunkt!" „Der Mensch ist das Maß aller Dinge", diesen alten Satz des Protagoras haben die Kirche und die Philosophie bis in die Gegen­wart transportiert. Dem Menschen gilt das göttliche Hauptinteresse, er ist Ebenbild Gottes und hat allein die unsterbliche Seele. Darüber sind der Kirche die Tiere abhanden ge­kommen und die Entfremdung wur­de immer größer.

So blieb es bis zur Schöpfungs­krise und der industriellen Massen­tierhaltung. Spätestens jetzt wird uns Menschen bewusst: so, wie es läuft, kann es doch nun wahrlich von Gott nicht gemeint sein! Dann ziehen an unserem inneren Auge die bibli­schen Gedanken vorüber, wie eng Mensch und Tier doch miteinander verflochten sind: gemeinsam am 6. Schöpfungstage ins Dasein getre­ten. Tief ist in den Schöpfungsge­schichten der vegetarische Gedanke verankert, auch im Paradiese laufen Tiere herum und der Mensch gibt ihnen sogar Namen, in der Massen­tierhaltung ein Ding der Unmög­lichkeit. Die Hochform menschli­cher Arroganz ist die Behauptung, Tiere kämen nicht in den Himmel, wo doch allein der Mensch aus dem Paradies verjagt wurde. Wir sehen die Arche des Noah, wo der Mensch in der „Prozession des Lebens" (Westermann) mitten drin ist als Le­bewesen unter vielen anderen Lebe­wesen auf der Arche dieser Erde, und Gott schloss gar einen Bund mit allen Lebewesen, den der Mensch millionenfach gebrochen hat. Die Bibel weiß, dass auch Tiere die Gotteserkenntnis besitzen, denn die Eselin des Bileam erkennt Gottes Engel, nicht aber jener. Gott sei Dank, dass wir das Alte Testament haben!

Es gibt ein mystisches Seelen­wissen der Tiere um Gott, und blickt man einem Tier in die Augen, er­kennt man da nicht die Abgründe des Seelischen oder gar des Un­sterblichen? Ich kenne einen Jäger, der mir einmal sagte: „Ich vermeide es, einem Reh vor dem Schuss durch das Zielfernrohr in die Augen zu blicken, denn dann kriege ich den Finger nicht mehr krumm." Und ich selber sehe noch immer die toten Augen der geschlachteten Kaninchen meiner Kindheit. Sie haben mich verändert. „Frag´ doch die Tiere", so der gepeinigte Hiob, der selbst litt wie ein Tier, „sie werden´s dich lehren, dass da ist ein Schöpfer in allem" (Hiob 12). Und wer wollte leugnen, dass die Tiere uns etwas lehren könnten vom Geheimnis Got­tes und dem Mysterium des Lebens, welches wir mit allen teilen? „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will", so hat es Albert Schweitzer ausgedrückt, und der Lebenswille anderer ist zu res­pektieren. Das einzige Lebewesen, das das vermag, ist der Mensch.

„Mitgeschöpflichkeit" heißt das Zauberwort. Das Tier ist ein „Mit­geschöpf". Das hat etwas Emanzi­patorisches, etwas Würdevolles, das uns die Tiere zur Seite stellt. Es ist ein religiöser Begriff aus der Prä­ambel des säkularen Tierschutzge­setzes und es ist verrückt: in der Theologie ist dieses Wort kaum zu finden! Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass man die Kirche zu etwas hintragen musste. In der Frauen­frage oder der sozialen Frage des 19. Jh. war es leider ebenso.

Mitgeschöpf und Mitgefühl ge­hören zusammen. Charles Darwin bemerkt in seinem Werk von der „Abstammung des Menschen": „Da Menschen und Tiere dieselben Sinne haben, sind auch die fundamentalen Empfindungen gleich". Das heißt: Mensch und Tier empfinden ge­meinsam, wobei Tiere oft noch schär­fere Sinne haben als wir. Hier taucht der Samaritergedanke auf, das Mit­leid mit denen, die unter die Räuber gefallen sind. Spätestens hier wird es ethisch, denn kraft der Spiegelneu­ronen unserer Gehirne können wir uns in andere hineinversetzen, auch in den Schmerz und das Leiden der Tiere. Wir haben doch das meiste mit ihnen gemeinsam, nur das bisschen Verstand trennt uns von ihnen, und das hat uns so hochmütig gemacht. Der Unterschied ist „graduell, nicht prinzipiell" (Darwin), das sollten wir demütig zugestehen.

Die Bibel entwirft sicher keine „Tierethik", wohl aber entwickelt sie religiöse Prinzipien, die auch für die Kreatur und unsere Schöpfungsge­schwister gelten können. Es ist die „Goldene Regel": „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt wer­den möchtest" (Matthäus 7,12), da­rin ruhen für Jesus Gesetz und Pro­pheten. Wir brauchen keine neue Ethik für die Tiere, wir müssen nur eine uns selbstverständliche Moral auf sie als leidensfähige Wesen aus­dehnen, mehr nicht. Das gehört sich so unter Geschwistern. Dann werden wir wirklich sagen können: „Bruder Bulle, Schwester Huhn" und es ist dann keine bloße Phrase mehr.

Nachdruck aus: Newsletter 09 des Institutes für Theologische Zoologie mit freundlicher Genehmi­gung des Autors

Zurück

© Tierrechte Baden-Württemberg