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Tauben Rheinfelden Offener Brief

Offener Brief: Taubenturm/-haus in Rheinfelden (Baden)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Eberhardt,

ich schreibe Ihnen im Namen von Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V., einem gemeinnützigen Verein, der sich bereits seit 1983 erfolgreich für die Rechte der Tiere einsetzt.

Wir wurden darüber informiert, dass sich engagierte Bürger*innen Ihrer Stadt gemeinsam mit dem örtlichen Tierschutzverein bereits seit längerem vergeblich um die Errichtung eines Taubenturms/-hauses bemühen.

Wie sich auch der Website der Stadt Rheinfelden entnehmen lässt, wurden bereits vier mögliche Standorte geprüft und als ungeeignet empfunden.

Aus der Presse (Badische Zeitung „Aus fürs Taubenhaus“, 15.09.2022) ging hervor, dass man sich im Gemeinderat um „andere Wildvögel und Kleinsäuger“ sorgt, da die Stadttauben einen „negativen Einfluss“ auf diese hätten. Da mir diesbezüglich bislang nichts dergleichen bekannt ist, möchte ich Sie bitten, hier konkreter zu werden:
Um welche Tierarten handelt es sich? Liegen Ihnen Fallbeispiele aus anderen Städten vor, die Sie zu dieser Aussage veranlassen?

In Deutschland leben als Wildtauben die Ringeltaube, Hohltaube, Turteltaube und Türkentaube. Alle vier sind Baumbrüter. Während die Hohltaube in Baumhöhlen brütet, bauen die anderen drei einfache Nester. Die Brutplätze der Stadttaube findet man hingegen überall an oder auf Gebäuden – oder eben in einem Taubenhaus/-turm. Durch diese unterschiedliche Spezialisierung kommen sich Wild- und Stadttauben bei der Wahl der Brutplätze daher nicht in die Quere.

Durch die gezielte artgerechte Fütterung der Stadttauben in den Taubenhäusern/-türmen ist eine Nahrungskonkurrenz zwischen Stadt-und Wildtauben ebenfalls nicht zu befürchten.

Neben Artenschutzgründen scheidet der Friedhof als möglicher Standort auch aus „Pietätsgründen“ aus, heißt es weiter auf der städtischen Website. Schlägt man im Duden das Wort Pietät nach, findet man folgende Erklärung „(besonders in Bezug auf die Gefühle, die religiösen Wertvorstellungen anderer) ehrfürchtiger Respekt, taktvolle Rücksichtnahme“.

Im Christentum ist die Taube ein weit verbreitetes Symbol für Frieden, Liebe und nicht zuletzt für den Heiligen Geist bekannt. Dies beruht auf der biblischen Erzählung der Taufe Jesus in Mt 3,13-17, in der sich der Himmel öffnet und Jesus den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube sieht. Eine Pietätslosigkeit gemäß Duden ist für mich daher nicht nachvollziehbar.

Die einzige wirksame und tierschutzgerechte Methode, um Taubenpopulationen auf Dauer zu verkleinern bzw. auf einer überschaubaren Zahl zu halten und gesunde Tiere zu bekommen, ist die Einrichtung betreuter Taubenschläge, in denen die Tiere mit artgerechtem Futter und Wasser versorgt und an den Ort gebunden werden (Weyrather, 2014). Dadurch nimmt die Präsenz der Futterschwärme in der Stadt ab. Ein Taubenschlag wäre somit auch ein Dienst, von dem nicht nur die Tiere, sondern auch die Bewohner*innen und Immobilienbesitzer*innen Ihrer Stadt profitieren.

Die bevorzugte Nahrung von (Stadt-)Tauben besteht hauptsächlich aus Körnern und Samen, die in den Städten kaum vorhanden sind. Somit haben die Tauben keine Möglichkeit, in Städten an artgerechtes Futter zu gelangen. Sie sind darauf angewiesen, sämtliche Essensreste (Abfälle) der Menschen zu fressen. Dies führt auch zu einer vermehrten Kotabsetzung. Werden die Tiere artgerecht gefüttert, kann auch hier eine Verbesserung erreicht werden.

Viele Städte haben dies bereits erkannt und Taubenschläge für die Stadttauben eingerichtet. In den Taubenschlägen können Tauben Paare bilden und brüten. Ihre Eier werden gegen Attrappen aus Gips ausgetauscht, so dass die Tiere weiter an ihr Nest gebunden bleiben, aber keine Küken aufziehen werden.

Da Rheinfelden einen eigenen Tauben & Geflügelzuchtverein hat, interessiert Sie vielleicht, dass häufig auch gezüchtete Brieftauben für Nachschub in den Städten sorgen. Eine große Prozentzahl der Wettbewerbstauben finden nicht mehr in die heimischen Taubenschläge zurück. Viele von ihnen sind ausgemergelt und sterben an Hunger, Durst und Verletzungen während ihres Rückfluges. Ein nicht zu unterschätzender Teil von ihnen schließt sich den Stadttauben an.

Wie bereits erwähnt, haben viele Städte die Vorteile eines Taubenhauses/-turms erkannt. Hier in Stuttgart wurden bereits an sechzehn verschiedenen Standorten Unterkünfte für die Stadttauben geschaffen.

Auch die Stadt Augsburg hat ein sehr erfolgreiches Taubenkonzept entwickelt (https://www.augsburg.de/umwelt-soziales/umwelt/umweltstadt-augsburg/stadttaubenkonzept), durch das (wieder) ein friedliches Zusammenleben zwischen Stadtbewohner*innen und Tauben möglich ist. Obwohl die Standortsuche, Finanzierungsüberlegungen und Planungsideen „etliche Jahre“ in Anspruch nahmen, ließ sich die Stadt nicht entmutigen und konnte gemeinsam mit dem ansässigen Tierschutzverein bereits zwei Taubentürme errichten. Einer davon in Friedhofsnähe (Gögginger Friedhof). Zehn Taubenschläge und zwei Türme gibt es in Augsburg zwischenzeitlich.
Der in den Türmen und Schlägen gebundene Taubenkot (in Augsburg ca. fünf Tonnen pro Jahr) entlastet das Stadtgebiet. Der Kot kann von dort fachmännisch entsorgt werden. Die Bau- und Unterhaltungskosten für Taubenschläge sind weitaus geringer als die Kosten für die regelmäßige Reinigung und Desinfektion von verunreinigten Plätzen und Gebäuden.

Das
„Augsburger Modell“ sieht vor, dass die Tiere im Taubenschlag artgerecht gefüttert werden.
Da Sie in Erwägung ziehen den Rat von Herrn Prof. Dr. Haag-Wackernagel einzuholen, möchte ich kurz auf dessen Vorgehensweise (
„Basler Modell“) eingehen. Prof. Dr. Haag-Wackernagel spricht sich für ein absolutes Fütterungsverbot (auch in den Taubenschlägen) aus. Er schlägt in seiner Argumentation eine Brücke zur „natürlichen Situation“, was zunächst plausibel erscheinen mag. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Situation der Stadttauben durch ihre angezüchteten Verhaltensweisen nicht auf die ursprünglichen Wildtauben übertragbar ist. Die heutigen Stadttauben sind die Nachfahren von einst ausgesetzten Haustieren. Diese Tiere sind nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, da der Mensch sie einst in seine Abhängigkeit züchtete. Da Tauben das ihnen vom Menschen angezüchtete Verhalten nicht ändern können, stehen wir in der Verantwortung, diesen Tieren zu helfen. Das komplette Entziehen der Nahrung ist daher nicht zu rechtfertigen, da es dadurch zum massenhaften Verhungern, vor allem der Jungtiere, käme.
Da das (Ver-)Hungern mit großen und langanhaltenden Schmerzen und Leiden einhergeht, ist dies nicht mit unserem Tierschutzgesetz zu vereinbaren.

Soweit mir bekannt ist, gibt es in Ihrer Schwesterstadt Rheinfelden (CH) bereits einen betreuten Taubenschlag, in dem die Tiere nach dem „
Augsburger Modell“ betreut werden.

Als weitere Lektüre zum Thema Stadttaubenmanagement möchte ich Ihnen und den Gemeinderat-Mitgliedern daher das Praxishandbuch „Stadttaubenmanagement in deutschen (Groß)Städten“ unseres Bundesverbandes ans Herz legen. Dieses können Sie sich ganz einfach und kostenlos auch als pdf-Datei herunterladen (https://www.tierrechte.de/wp-content/uploads/2021/09/2021-HB-Stadttaubenmanagement_web.pdf).
Ein Exemplar habe ich Ihnen beigelegt. Sie finden darin Informationen über effektive Geburtenkontrolle, einfache und kostengünstige Entfernung von Taubenkot und wie eine Gesundhaltung der Tiere durch artgerechte Fütterung und tierärztliche Bestandsbetreuung möglich ist. Gerne stelle ich für Sie den Kontakt zu den Verfasserinnen her, wenn Sie den persönlichen Austausch wünschen.

Nach dem neuen Gutachten (Arleth C., Hübel J. Rechtsgutachten Stadttaubenschutz. Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung; 29.10.2021. Abrufbar unter:
www.berlin.de) gelten Stadttauben als Fundtiere.

Daher haben Kommunen die Pflicht zur Lösung der dauerhaften, menschengemachten tierschutzrechtlichen Herausforderungen von Stadttauben.

Sie entscheiden, ob die Stadt Rheinfelden (Baden) ihre Verantwortung erkennt und übernimmt. Wir bitten Sie darum, gemeinsam mit dem örtlichen Tierschutzverein und der engagierten Gruppe von Taubenschützer*innen an einem Konzept für einen Taubenturm oder ein Taubenhaus zu arbeiten und erneut die Standorte zu überprüfen und ggf. neue Standorte ausfindig zu machen. Informieren Sie die Bürger*innen über die Vorteile eines Taubenhauses oder –turms und bitten Sie ggf. um Mithilfe in der Bevölkerung, einen geeigneten Standort zu finden.

Gerne sind wir Ihnen bei der Verwirklichung des Projektes behilflich, stehen Ihnen für Rückfragen zur Verfügung oder vermitteln Ihnen Kontakte zu anderen Stadttaubenprojekten.

Mit freundlichen Grüßen

Stephanie Kowalski

Tierärztin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

© Tierrechte Baden-Württemberg