In der Natur nutzen die Tiere ihre Schnäbel ab und bedürfen deshalb keiner Kürzung. Ein gesundes Pick- und Untersuchungsverhalten können sie in der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht ausleben. Durch die reizarme und vollkommen unartgerechte Haltung entwickeln viele Tiere Störungen. Dadurch beginnen sie sich selbst oder ihre Artgenossen anzupicken und zu verletzen. Zusätzlich kommt es durch die nicht vorhandene Rangordnung häufiger zu Kämpfen. Es fehlt an Versteck- und Rückzugsmöglichkeiten sowie Platz und Flugfähigkeit, um Kämpfen zu entfliehen. Schwächere Tiere, die bepickt werden, können sich nirgends verstecken. Um die Verletzungen zu minimieren, passt man nun nicht die Haltungsbedingungen an, sondern die Tiere und führt einen schmerzhaften und stark beeinträchtigenden Eingriff durch. Fest steht, werden die Tiere unter artgerechten Bedingungen wie auf Lebenshöfen gehalten, ist keine provisorische Schnabelkürzung nötig. Diese wird erst nötig, wenn die Tiere Stressfaktoren erfahren, ausgelöst durch nicht artgerechte Lebensbedingungen.
Ziel einer Schnabelamputation ist lediglich die Reduktion von Verletzungen durch schädigendes Picken. Beschädigungspicken wird aber durch eine Amputation nicht verhindert, weshalb die Beseitigung der Ursachen stets oberste Priorität haben muss. In dem Betrieb, auf welchem unsere Puten-Klage basiert, fand kurz vor der Besichtigung durch die Gutachter ein größeres Beschädigungspicken statt, bei welchem 20 Tiere trotz gekürzter Schnäbel starben. Bei Einzeltieren konnten die Gutachter noch Spuren dieses Vorfalls erkennen.
Die Amputation führt zu Schmerzen, Leiden und Schäden und wird meist bereits in der Brüterei ohne Betäubung durchgeführt, bevor die Tiere in den Mastbetrieb kommen. Der Eingriff hat Einfluss auf die Futteraufnahme und den Pflegezustand. Bei allen Tieren ist von Schmerzen bis mindestens Tag 29 nach der Amputation auszugehen. Ursachen des Schmerzes sind der Eingriff selbst, der folgende Entzündungsprozess, eine höhere Sensibilität des Schnabels, die Manipulation der Wunde durch Nutzung des Schnabels sowie die Bildung von Neuromen am Amputationsstumpf. Chronische Schmerzen und längerfristige Leiden nach der Amputation wurden innerhalb unserer Puten-Klage auch von dem Gerichtsgutachter bestätigt.
Die Schnabelamputation entspricht anatomisch einer Entfernung der Oberlippe zusammen mit dem Teil des Oberkieferknochens, der den Schneidezähnen als Haltungsapparat dient. Dies würde beim Menschen nicht ohne Narkose und anschließender Schmerzbehandlung durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um eine Teilamputation, bei der Teile von lebendem Gewebe entfernt werden. Das ist sehr schmerzhaft. In der Fachzeitschrift Animals wurde 2021 eine Untersuchung veröffentlicht, die histologische Veränderungen innerhalb des Schnabels auch noch Tage nach dem Eingriff nachwies. Die Sensorik vom Schnabel wird längerfristig eingeschränkt. Dieser ist ein wichtiges Sinnesorgan für die Puten.
Meist wird zur Schnabelkürzung Infrarot benutzt, was zwar unter den üblichen Methoden als die beste Wahl zu bewerten ist, aber dennoch auf jeden Fall schmerzhaft ist. Studien zeigen Amputationsneuromen auch noch vier bis fünf Monate nach der Amputation. Bereits 1992 zeigte eine Studie, dass diese Neuromen schmerzhaft sind. Die Nervengrundlagen sind bei höher entwickelten Tieren sowie Menschen gleich. Schmerzen und Eingriffe können hier also wissenschaftlich korrekt verglichen werden.
Ein Fehler von Ausarbeitungen, die das Schmerzempfinden bei Schnabelkürzungen anzweifeln, ist, dass diese häufig die Futteraufnahme als Schmerzindikator heranziehen. Frisst die Pute, leidet sie nicht. Dabei bedeutet das Einstellen der Nahrungsaufnahme den Tod und ist damit das letzte Verhalten, das der Vogel einstellen würde. Man muss auch das hoch konzentrierte Futter beachten, welches sowieso zu einer stark verkürzten Nahrungsaufnahme führt. Würden die Tiere unter natürlichen Bedingungen fressen, könnte es sehr wohl zu einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme kommen, da mit der verlängerten Zeit für die Futteraufnahme auch das Schmerzgeschehen steigt. Ein weiteres Argument der Gegenseite ist häufig, dass Puten sehr wohl die Futteraufnahme verweigern bei Schmerzen. Beispiele, die dann genannt werden, sind dann Erkrankungen am Dottersack oder ähnliche Krankheiten, welche aber dem Stoffwechsel zuzuordnen sind und damit in direkter Verbindung zur Nahrungsaufnahme stehen. Stichhaltig bleibt stehen, dass die Futteraufnahme kein Indikator für die Schmerzen von Puten in der landwirtschaftlichen Tierhaltung sind und der Eingriff massive und lang anhaltende Schmerzen verursacht.
Bei Hennen, die zum Eier legen benutzt werden, werden mittlerweile keine Schnabelkürzungen mehr durchgeführt. Die anatomischen Verhältnisse von einem Hühner- und Putenschnabel sind relativ ähnlich.