Undercover-Recherchen
In vielen deutschen Schweineställen herrschen nach wie vor grauenvolle Zustände. Eine aktuelle Undercover-Recherche der beiden Tierrechtsorganisationen ARIWA (Animal Rights Watch) und Animal Equality in vier Bundesländern, die auch in den ARD-Tagesthemen gezeigt wurde, zeigt erschütternde Szenen aus dem Alltag der gequälten Tiere.
Zwar ist es gemäß der EU-Richtlinie über die Mindestanforderungen für die Haltung von Schweinen seit Anfang 2013 EU-weit verboten, trächtige Sauen durchgehend in Kastenständen zu halten. Die Ermittlungen zeigen jedoch, dass trotz 12-jähriger Übergangsfrist auch in Deutschland die europäische Vorschrift – auch infolge mangelnder Kontrollen durch die Veterinärbehörden – noch nicht flächendeckend umgesetzt wurde. Aber selbst bei ordnungsgemäßer Einhaltung der EU-Richtlinie müssen die Mutterschweine etwa sechs Wochen ihrer circa dreieinhalb Monate dauernden Schwangerschaft weiter eingepfercht in Kastenständen verbringen – ein armseliges Leben, geprägt von Frustration und Monotonie.
Kurz vor der Geburt werden die schwangeren Sauen in eine separate Kabine, die sogenannte Abferkelbox, verlegt, wo sie vier Wochen mit ihren Jungen verbringen. Die Mütter werden mit einem Metallkäfig fixiert, damit sie ihren Nachwuchs nicht aufgrund des Platzmangels erdrücken. (Praktischer Vorteil der Muttersau-Fixierung für Schweinezüchter: Die Ferkel können weggenommen, betäubungslos kastriert und ihre Schwänze kupiert werden, ohne dass die Mütter ihre Kleinen verteidigen können).
Einige Sauen bringen ihre Kinder schon vor der Verlegung in die Abferkelbox zur Welt. Die orientierungslosen Neugeborenen irren zwischen den anderen Tieren umher und können von ihnen totgetrampelt werden. Andere Ferkel werden mit den Beinchen in den Spaltenböden festgeklemmt und verdursten, weil sie die Zitzen der Mutter nicht erreichen können. In der Box werden Ferkel von ihren eigenen Müttern zerquetscht, die sich in den engen Käfigen nicht einmal um die eigene Achse drehen können. Die Tierschützer fanden tote Ferkel, die achtlos in Pappkartons und in Kadavertonnen geworfen worden waren. Auch erwachsene Tiere, die gestorben waren, wurden als Müll entsorgt.
Den Videofilm können Sie abrufen unter: http://www.ariwa.org/aktivitaeten/aufgedeckt/recherchearchiv/690-illegale-schweinezucht-in-deutschland.html
Das ganze System krankt
Weibliche Wildschweine werfen im Schnitt sechs Ferkel, Zuchtschweine wurden dagegen zu „Gebärmaschinen“ degradiert, darauf „programmiert“, pro Wurf 14 bis 16 oder noch mehr Ferkel zu gebären. Ein Mutterschwein hat jedoch nur 14 Zitzen. Viele Zuchtferkel sterben unter anderem deshalb aufgrund schlechter Vitalität, Unterernährung oder Infektionen. Dabei ist die Fixierung der armen Zuchtsauen eine völlig sinnlose Quälerei. Wie die Biologin Beate Bünger vom Institut für Tierschutz und Tierhaltung (FLI) Celle herausfand, sind Verluste bei Muttersauen, die sich frei bewegen können, insgesamt auch nicht größer als in der konventionellen Schweinezucht. Bei Wildschweinen oder verwilderten Sauen, die geradezu vorbildliche Mütter sind, wurden weder Ferkelverluste durch Erdrücken noch das Totbeißen von Ferkeln beobachtet. Die wilden Sauen lassen gelegentlich sogar die Ferkel anderer Mütter an ihren Zitzen saugen. Während Wildschweine 75 Prozent ihrer aktiven Wachzeit mit Wühlen, Grasen und Erkunden verbringen, entwickeln die hochintelligenten, sensiblen und geselligen Artgenossen in den engen, überfüllten Ställen ohne ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten zum Teil gravierende Verhaltensstörungen.
Sie kämpfen um die Rangordnung, knabbern sich gegenseitig die Schwänze ab und Masteber beißen einander in die Penisse. Zwar kommt es in der Natur vor allem während der Paarungszeit auch zu ernsthafteren Rangordnungskämpfen; in der übrigen Zeit leben die Tiere jedoch weitgehend friedlich miteinander. Die industrielle Schweinehaltung führt nicht nur zu Frustration, Stress und Verhaltensstörungen, sondern macht die Tiere auch krank. Nach Informationen der Firma Westfleisch wiesen im ersten Halbjahr 2012 bis zu 13 Prozent der Schlachtschweine entweder Lungenschädigungen, Brustfellentzündungen, Leberschäden durch Parasitenbefall oder Zeichen von Herzbeutelentzündung auf (in Schweinezucht und Schweinemast 3/2013). Ursache der Lungenschäden (und Herzbeutelentzündungen) sind häufig Mischinfektionen, die durch die stark ätzende, ammoniak-, staub- und keimbelastete Luft im Stall begünstigt werden. Die Leberschäden sind auf in die Ställe eingeschleppte und „reinigungsresistente“ Parasiten wie Magen- und Darmwürmer oder deren Vorstadien zurückzuführen.
Die Intensivhaltung ist ein nahezu idealer Nährboden für Krankheiten, von denen nicht „nur“ Tiere betroffen sind, sondern von denen auch ein erhebliches Risiko für Menschen ausgeht (Stichwort Vogelgrippe, Rinderwahnsinn BSE, Botulismus etc.) Um den hohen Keimdruck zu bekämpfen, werden deshalb massenhaft, meist sogar prophylaktisch, Antibiotika eingesetzt, die auf Dauer zu den so gefürchteten Resistenzen führen. Die erbärmlichen Zustände in den Ställen, Panik und Todesangst beim anschließenden Transport und im Schlachthof sind für Schweine so extrem belastend, dass sie Gerüche über den Schweiß absondern, die widerspiegeln, dass diese Belastung über die Grenze des Erträglichen hinaus geht.
Eine Gesellschaft, die zulässt, dass fühlende Wesen zu reinen Produktionseinheiten degradiert und ethische Werte zunehmend dem Diktat des Marktes unterworfen werden, ist hinter der schönen Fassade erschreckend barbarisch und unzivilisiert.