Login
Reiten

Interview zum Thema Tierquälerei im Pferdesport anhand der olympischen Spiele 2024

„Gewalt orientierte Arbeit mit Pferden gab es schon immer und sie ist Charaktersache!“ sagt Frau Prof. Dr. Ellen Kienzle

Wir haben den aktuellen Anlass der Olympiade 2024 im Nachklapp genutzt, um uns mit einer Kennerin, Tierärztin und ehemaligen Lehrstuhlinhaberin für Tierernährung, Frau  Prof. Dr. Ellen Kienzle, auszutauschen. 

Denn der professionelle Reitsport gerät zunehmend in die Kritik und hat es mit zahlreichen Negativschlagzeilen weltweit in die Presse geschafft. Bei den diesjährigen olympischen Spielen 2024 in Paris konnte man live im Fernsehen sehen, wie die Tiere behandelt werden. Zahlreiche Tierschützer*innen machen sich mittlerweile vor allem in den sozialen Netzwerken stark für die Pferde und leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung. Denn so viel ist klar, es muss sich zwingend etwas ändern! Zum Wohle der Tiere. 

1. Endlich kritischere Berichterstattung:

In den letzten Monaten konnte man in der Presse und vor allem auch auf Social Media die hässliche Seite des Reitsports immer häufiger sehen. Was bedeutet professioneller Reitsport für die Tiere? 

Das kann sehr unterschiedlich sein, und es hängt natürlich von der Sportart ab. Vor allem aber von der Persönlichkeit der Sportler. Nennen wir das Kind einmal beim Namen: Im Kontext mit den letzten Reitsportskandalen kommt es auch immer wieder zur Sprache, dass nicht nur die Pferde schlecht behandelt werden, sondern auch andere Menschen, die von den ertappten Reiter*innen abhängig sind. Das ist übrigens nicht nur bei Pferden so. Menschen, die Tiere misshandeln, tun dies häufig auch bei Menschen.

In Großbritannien  gibt es meines Wissens eine Meldemöglichkeit für Tierärzte bei Verdacht auf Misshandlungen von Haustieren. Diese Meldungen sollen als sog. „red flag“ bei  häuslicher Gewalt für Sozialarbeiter dienen. 

Gewalt orientierte Arbeit mit Pferden gab es schon immer und sie ist Charaktersache des Reitenden. Wer das langfristig praktiziert, ist meist wenig reflektiert und/oder wenig empathiefähig. Ein sehr prominentes Beispiel dafür ist Wilhelm II, der deutsche Kaiser, der in den ersten Weltkrieg hineinschlitterte. Er hatte einen Leibstallmeister, der Rollkur (gewaltsame Überbeugung des Halses und des Genicks) praktizierte. Begründet wurde diese Pferdebehandlung mit einer Körperbehinderung des Kaisers, aufgrund derer er nur mit einer Hand reiten konnte. Man kann aber ein gut gerittenes Pferd, das nicht in dieser Art gequält wurde, sehr wohl mit einer Hand reiten. Derartige Begründungen sind, damals wie heute, nur Ausreden. 

Heute fällt besonders der Dressursport durch Pferdequälerei auf. Die Besonderheit ist, dass möglichst exaltierte Bewegungen der Pferde von den Richtern hoch bewertet werden.  Solche Bewegungen erreicht man eben nur, indem man die Pferde verspannt. Dass das nicht pferdefreundlich abgeht, ist selbsterklärend. Im derzeitigen Dressursport haben also Reiter, welche ihre Pferde „würzen“, wie das im Jargon der Stallgasse heißt, einen Vorteil. Man kann sogar die Behauptung aufstellen, dass in dieser Sportart korrektes Reiten kaum noch eine Siegchance bringt. In anderen Sparten ist es nicht so zwingend der Fall, dass nur Grobheit (zumindest hinter den Kulissen) zum Erfolg führt. Allzu viel Rücksichtnahme auf die Pferde wird aber auch in vielen anderen Sparten nicht unproblematisch sein. Man denke nur, was mit Julia Krajewsky bei der Olympiade in Brasilien passiert ist, als ihr Pferd verweigerte (nicht gesprungen ist). Wenn man dann vom Fernsehkommentator „den braunen Strich in der Hose“ bescheinigt bekommt, also letztlich gesagt wird, man habe Angst, dann gehört schon einiges an Charakter der Reiterin dazu, in so einer Situation ruhig zu bleiben. In diesem Fall: Kompliment an Julia Krajewsky. Meines Wissens ist der Kommentator, der diesen Ausspruch tat, noch aktiv. 

2. Skizzieren wir das Szenario für die Pferde vor und während des Turniers:

Bedeuten lange (Übersee-) Reisen, Lärm, Hektik, die medizinischen Checks vorab und das Turnier selbst nicht massiven Stress und Leid für die Tiere? 

Was passiert beispielsweise bei Misserfolg nach dem Turnier (Wegwerfware)?

Natürlich ist das so, insbesondere die langen Reisen und Flüge sind belastend. Da Pferde, die so weit transportiert werden, im Regelfall sehr wertvoll sind, wird hier jedoch alles getan, um die Pferde gesund zu erhalten. An Checks und ein entsprechendes Umfeld kann man Pferde gewöhnen. Man denke nur an Militär- und Polizeipferde. Das individuelle Pferd reagiert natürlich sehr unterschiedlich, aber wenn man geeignete Individuen auswählt, ist das nicht das Hauptproblem. Es gibt - gerade im kleineren Turniersport - durchaus Pferde, die den Eindruck vermitteln, dass sie nicht ungern aufs Turnier fahren. Die Fahrstrecken und Aufenthalte sind dort natürlich kürzer. Oft sind das Pferde, die in ihrer Sparte im Kleinen sehr erfolgreich sind. Sie scheinen die daraus resultierende Aufmerksamkeit, das Lob und vermutlich auch die Aktivität, die ja noch nicht an ihre Grenzen geht, durchaus  zu genießen. Das Problem besteht  aber auch dort, dass das eben nicht auf die Mehrzahl der teilnehmenden Pferde zutrifft. 

Hinsichtlich Wegwerfware ist es sehr komplex. In Sportarten, in denen die Ausbildung des Pferdes relativ lang ist, ist auch ein Pferd, das ganz oben nicht erfolgreich ist, noch wertvoll für Reiter, die ein oder zwei Klassen tiefer starten möchten. Oder als Lehrpferd für einen jüngeren Reiter. Das trifft für die olympischen Sparten vollumfänglich zu. Schwierig wird es hier nur, wenn das Pferd gesundheitliche Schäden hat, die weitere Starts in anderen Klassen erschweren. Anders sieht es im Rennsport aus. Sportpferde zum Freizeitpferd umzufunktionieren, scheitert häufig am leicht erregbaren Temperament, mit dem die Freizeitreiter oft nicht zurechtkommen. Man muss auch wissen, dass man ein Pferd – wie jedes andere Tier auch – nicht ohne Grund töten darf. Fleischgewinnung wäre ein Grund. Allerdings muss das Pferd dafür in seinem Equidenpass als Schlachtpferd eingetragen sein. Dann dürfen vielerlei tierärztliche Behandlungen nicht durchgeführt werden, um die Lebensmittelqualität nicht zu beeinträchtigen. Ist das Pferd als Nicht-Schlachtpferd geführt, kommt das Schlachten nicht mehr in Betracht. Ein vernünftiger Grund zum Einschläfern ist dann nur vorhanden, wenn das Pferd dauerhaft leidet oder ohnehin verenden würde, z.B. bei einer Kolik. Dafür braucht man jedoch einen Tierarzt, denn nur er kann Einschläfern. Der hat es in diesem Fall aber auch nicht leicht, denn schließlich sind die Besitzer, die das wünschen, häufig wichtige Kunden. Dazu man muss noch bedenken, dass die Alternative oft der Verkauf des kranken Pferdes sein kann, das dann zum Wanderpokal wird, von Hand zu Hand geht, jeder versucht es noch irgendwie hinzukriegen….. Da gibt es auch eine schräge Industrie, die von sich behauptet solche Pferde „gesund“ zu reiten oder durch Hufbearbeitung und ähnliches zu „heilen“. Bei lahmenden Pferden wird dann schon mal das gegenüberliegende Bein durch Überlastung oder die Hufbearbeitung ebenfalls lahm. Dann sieht man die Lahmheit nicht mehr und das Pferd gilt als „geheilt“. 

3. Was fällt beim Training und den Turnieren unter den Begriff Tierquälerei, welche die Laien bzw. die Zuschauer nicht erkennen? (Stichwort: Verletzungen? Verletzungsgefahr? Die blauen Zungen?)

Hierher gehört der gesamte Komplex der Hyperflexion, der Rollkur: Für den Laien sieht der runde Hals schön aus und die daraus resultierenden krampfhaften Vorhandbewegungen sind eindrucksvoll. Die Abbildung nebenan verdeutlicht das: Man kann sehen, dass die Stirnlinie hinter der Senkrechten ist (oberer Pfeil) und dass das Vorderbein nach oben gerissen wird (unterer Pfeil). Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Kennzeichen und Probleme, die ich hier aber nicht alle aufführen möchte, damit es nicht zu kompliziert wird. Eine solche Position von Kopf Hals und Vorderbein ist aber immer verdächtig. Man kann das nicht erreichen, wenn man pferdeschonend ergonomisch reitet. 

Ein weiteres wichtiges Kennzeichen sind auch zu eng geschnallte Reithalfter. Diese werden dazu missbraucht, das Maul zuzuschnüren, damit das Pferd sich bei starkem Anzug am Gebiss nicht durch Aufsperren des Mauls und Herausstrecken der Zunge Erleichterung verschaffen kann. Ursprünglich war der Riemen um Nase und Unterkiefer dazu gedacht, dass, wenn das Pferd das Maul aufsperrt, weil ihm der Zug am Zügel unangenehm wird, so einen Teil des Zugs auf den Nasenrücken bekommt. Damit soll dem jungen Pferd das Verständnis der Hilfen erleichtert werden. Außerdem kann in einer Notsituation, wenn der Reiter sehr stark anziehen muss (z.B. in der Militärreiterei oder im Straßenverkehr), so verhindert werden, dass durch den langen Hebel, den der etwa 50 cm lange Unterkiefer des Pferdes ja darstellt, das Kiefergelenk durch den Zug geschädigt wird. Bei Missbrauch des Reithalfters in Verbindung mit fehlerhaft verschnallten Hebelgebissen und starker Zügeleinwirkung über mehrere Minuten, kommt es dann zu blauen Zungen, die sich nur durch Einschränkung der Blutzufuhr erklären lassen. Zwischen dem Nasenrücken des Pferdes und den Nasenriemen des Pferdes sollten zwei Finger aufrecht nebeneinander passen. Auf gar keinen Fall darf das Gewebe unter dem Riemen hervorquellen. Mit diesen drei Kriterien: Nase hinter der Senkrechten, strampelndes Vorderbein, zu eng geschnalltes Reithalfter kann man auf jeden Fall die schlimmsten Auswüchse auch als Laie gut erkennen. Es gibt noch sehr viele weitere Punkte, z.B. das Schmerzgesicht und ähnliches, aber ich möchte hier bei den Punkten bleiben, welche sehr leicht erkennbar sind. 

Natürlich hat diese Reiterei weitere gesundheitliche Folgen: Verletzungen im Bereich des Pferdemauls sind an der Tagesordnung, ebenso  gibt es Probleme mit der Hals- und Rückenwirbelsäule. Vor allem aber treten die Pferde durch die verkrampfte Haltung im Standbein sehr stark durch, was die Beine strapaziert und zu Schäden an ihnen führt. Hier wird von den Protagonisten gerne angeführt, dass es ja ältere Dressurpferde gebe, denen das offensichtlich nichts ausmache. Zum einen gibt es natürlich gelegentlich Pferde, die trotzdem einigermaßen gesund alt werden, zum anderen sehen die Richter über ungleiches Gehen gerne mal hinweg. Prominentes Beispiel ist Totilas, der ja erst aus dem Sport genommen wurde, als eine Richterin es wagte, entsprechend zu bewerten. Sehen Sie sich die Olympiaritte doch einmal daraufhin an, ob beide Vorder- bzw. Hinterbeine wirklich gleichmäßig treten. Und: Nicht alle Raucher sterben an Lungenkrebs, mancher wird trotzdem alt. Aber niemand kann leugnen, dass Rauchen ein Gesundheitsrisiko darstellt 

4. Die deutschen Sportler haben vor allem bei den Reitsport-Disziplinen abgesahnt und wurden in der Presse gefeiert. Zurecht? Haben wir es hier mit sauberen Methoden zu tun oder wird nicht auch hier den Pferden viel zu viel zugemutet?

Da muss man zwischen den Sportarten unterscheiden. In der Vielseitigkeit hat mir einiges sehr gut gefallen, in der Dressur fand ich es furchtbar. Schauen Sie sich die Ritte in der Dressur an, schauen Sie auf die oben genannten Kriterien und urteilen Sie selbst. 

5. Warum gerät erst jetzt der Reitsport zunehmend unter Druck und wieso blieb und bleibt noch immer so vieles im Verborgenen, was den Tieren u.a. im Training angetan wird?

Das hat sehr viele Gründe. Zum einen muss man mit Mobbing, ja sogar mit Gewalt rechnen, wenn man etwas unternimmt. Eine sehr mutige Tierärztin und Aktivistin wagt es nicht mehr ohne Begleitperson zum Turnier zu gehen um zu beobachten. Und das ist kein Einzelfall! Dann wird versucht, die Kritiker mundtod zu machen, nach dem Motto: Du kannst doch selber bestimmt nicht so gut reiten, wie kannst Du es wagen, diese Stars zu kritisieren. Und hier gibt es tatsächlich eine gewisse Tradition, dass man Meistern gegenüber bescheiden auftreten soll. Gerade Leute, die noch nach traditionellen Vorgaben im Reitsport ausgebildet wurden, reagieren darauf sensibel und ziehen sich zurück. Nur, dass diese Stars eben keine Meister der Reitkunst sind, sondern Leute, die zwar ungeheuer geschickte Reiter sind, die aber ihr Können missbrauchen. Oftmals wird auch Neid als Motiv unterstellt, was ebenso manchen einschüchtert. Oder die Kritiker werden als „Hater“ bezeichnet. Meist sind das aber hochqualifizierte ältere Menschen, die den Reitsport noch erlebt haben, bevor er entgleist ist, und die oft selbst auf eine beachtliche Lebensleistung zurückblicken können, also ganz sicher nicht die typischen „Hater“. Trotzdem kann es gerade solchen Menschen peinlich sein, wenn sie so wahrgenommen werden.  

Dann gibt es eine ganze Reihe von Mixed Messages und Schönrederei bzw. sog. „Gas lighting“, die es unsicheren Menschen schwer machen, ein eigenes Urteil zu bilden. Es gibt eine Dressurseite, die bei Lieschen Meyer höchst tierschutzbewusst agiert.  Sobald aber ein erfolgreicher Reiter auftritt, wird alles schöngeredet. Werden solche Reiter dann aber kritisiert, dann kommt als Antwort, dass man nicht nett sei, nicht konstruktiv usw. Mir wurde einmal geschrieben, mein Kommentar sei nicht wertschätzend. Dabei hatte ich bei einem Pferd in Hyperflexion nur angemerkt „Nase vor“. Noch nicht mal mit Ausrufungszeichen. Und dann natürlich die Pferdemedien. Meister in allen diesen Punkten, wenn es um deutsche Reiter geht. Eine Anekdote am Rande: Herr Gottschalk soll sich angeblich zum Reitsport geäußert und dabei die Sportart verwechselt haben. Die Pointe hat er allerdings trotzdem erfasst: “Dem Pferd ist es egal, ob da ein Deutscher draufsitzt!“ Bei deutschen Siegern wird das schöngeredet und bei ausländischen kritisiert. Um sich ein Urteil bilden zu können, braucht man gerade in der Dressur sehr viel Wissen. Man muss lesen. Und intellektuelle Trägheit hat im Reitsport Tradition: „Überlasst das Denken den Pferden, die haben den größeren Kopf“ ist durchaus ein Spruch, den man auch heute noch regelmäßig hört. Und inzwischen betreiben die Sportreiter regelrechtes sog. „Welfare Washing“, wenn sich zum Beispiel eine Olympiateilnehmerin in der Hängematte in der Box ihres Pferdes ablichten lässt und ähnliches. 

Es kommt noch etwas sehr Wichtiges hinzu: Viele der fachlich kenntnisreichen Kritiker reiten selbst und halten Pferde oder leben sogar davon. Denen wird dann Angst gemacht, dass Reiten und Pferdehaltung verboten werden könnten, wenn man den Reitsport hinsichtlich des Tierschutzes kritisiert. Ich sehe das anders: Hundekämpfe sind ja auch verboten und private Hundehaltung nicht. 

Durch die sozialen Medien hat sich etwas verändert. Früher konnte man allenfalls einen Leserbrief schreiben oder einmal bei irgendeiner Veranstaltung etwas sagen, was dann schnell abgebogen wurde. Jetzt ist das anders, jetzt kann man sich äußern und es wird wahrgenommen. Ich habe kürzlich an einen Hauptsponsor, mit @longines kommentiert, weil die Werbung dieses Herstellers Seite an Seite mit einer Werbung für Helgstrand stand. Helgstrand, ein Pferdehändler im großen Stil, wurde wegen eines Tierschutzskandals aus dem dänischen Olympiateam geworfen. Und da habe ich eben gefragt, ob sie ihr Logo direkt neben dem seinen sehen möchten. Und auf einmal bekam ich etwas zugeschickt, das ganz klar Welfare Washing war. Ein jüngeres Pferd stand in der Halle - angeblich bei Helgstrand -mit einem freundlichen Mädchen darauf. Die streichelte das Pferd und gab ihm Leckerli. Das Pferd machte dabei sehr „niedliche“ Lippenbewegungen. Bloß, wenn man richtig hinsah, konnte man erkennen, dass das Reithalfter so eng verschnallt war, dass das Pferd Schwierigkeiten hatte, das Leckerli zu fressen. Die Lippenbewegungen würde ich hier als Übersprungshandlung interpretieren, das Pferd wollte das Leckerli, konnte es aber nicht nehmen. So etwas gibt es durchaus als Stereotypie. Am Ende ist es dem Pferd gelungen, das Leckerli zu fressen und das Mädchen streichelte es fleißig. Ich habe mich schon gefragt, für wie blöd, eigentlich die Adressaten solcher Videos gehalten werden. 

6. Wie können sich Tierschütz*innen stark für die Pferde machen? 

Was muss nun getan werden, dass sich im Reitsport endlich etwas ändert, oder dieser gänzlich aus den olympischen Spielen und anderen Wettkämpfen gestrichen wird?

Man muss sich entweder sehr kundig machen oder vor allem Dinge kritisieren, die sehr eindeutig sind, wie z.B. Hyperflexion. Es ist zweifellos hilfreich, wenn auf Turnieren Leute auftauchen mit“No Rollkur“-Plakaten oder ähnlichem und Reiter ausbuhen, die so etwas machen. Im Internet kommentieren ist offensichtlich effektiv, das zeigen die extrem nervösen Reaktionen der Reiter. Man sehe sich nur mal das Interview mit Isabell Werth an, in dem sie auf die blaue Zunge angesprochen wird. Da stottert sie regelrecht. Auf Social Media: Bilder von Tierquälerei, Rollkur vor den Logos der Sponsoren entsprechend markieren, z.B. mit #Badvertising, auch direkt an Sponsoren z.B. @Longines, die #doitride Welfarewashing-Kampagne hinterfragen und unter Videos von Veranstaltungen mit Hyperflexion oder anderen Misshandlungen mit Emojis „Tränchen“ und „Wutgesichter“ reagierenMan muss allerdings aufpassen, dass eventuelle Kommentare fachlich einigermaßen korrekt sind, sonst verliert es an Wirkung oder man kann sogar verklagt werden. 

Bei Sportveranstaltungen auf den Vorbereitungsplatz zu gehen, Stewards anzusprechen oder Buhrufe oder“ No-Rollkur“-Plakate hochzuhalten, ist zweifellos wirkungsvoll, aber nicht ungefährlich. Man sollte das nie allein tun.

Also entweder offensichtliches Pferdeprügeln, um eine Leistung zu bekommen, oder Nase hinter der Senkrechten und Gestrampel… Natürlich kann man sich auch Organisationen und Websites anschließen, die hieran arbeiten. Geld an solche Organisationen zu spenden, kann ebenso helfen. Ebenso Petitionen unterstützen, die sich z.B. gegen Rollkur wenden. Immer genau hinschauen! So manche Website hat ihre eigene Agenda, die unter Tierschutzaspekten verbreitet werden soll. Dazu gehören insbesondere Websites mit Wunderheilreiten und ähnlichen mirakulösen Versprechen. Wenn man richtig nachschaut, wird etwas vermarktet, das nicht gut ist für die Pferde. 

Zurück zum Reit- und insbesondere zum Dressursport: Es wäre beispielsweise sehr leicht möglich, Videos vom Abreiteplatz und von den Prüfungen auf die Position der Nasenlinie hin auszuwerten und Konsequenzen für die Platzierung zu ziehen.

Auch wenn Gegenteiliges behauptet wird, die Wissenschaft hat längst bewiesen, dass Rollkur Tierquälerei ist. Geben Sie einfach mal „hyperflexion“ und „horse“ in Google Scholar ein! Der Ruf nach weiteren wissenschaftlichen Studien dient lediglich dem Zweck, Zeit bis zu überfälligen Änderungen zu schinden. Sehr wichtig ist auch zu wissen, dass die FEI-Regeln ( Fédération Equestre Internationale)  sehr wohl im Sinne der Pferde wären, wenn sie denn eingehalten würden. *

Extrem wichtig wäre es auch, dass die Veranstalter der Turniere die Richter und andere Turnierfachleute nicht mehr selbst einladen dürfen, sondern, dass gelost wird. Sonst bestimmen indirekt die Reiter mit den großen Namen die Richter, denn sie können den Veranstaltern absagen, falls diese kritische Richter einladen. Man stelle sich mal vor, der FC Bayern würde sich den Schiedsrichter selber einladen, da gäbe es aber einen Aufschrei in den Medien. 

7. Wie können wir uns Ihre Arbeit vorstellen? 

Was machen Sie im Bereich des Schutzes der Pferde, und können sich Leser*innen anschließen/unterstützen?

Letztlich informieren wir vor allen Dingen. Wie man sieht, haben wir durch die sozialen Medien jetzt doch erstmals Wirkung in der breiteren Öffentlichkeit erzielt. 

Wenn genügend Menschen nach Vorfällen auf internationalen Turnieren die „Fédération Equestre Internationale (FEI)“, bei nationalen die „Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN)“ anschreiben und, ganz besonders aber die Sponsoren, dann zeigt auch das Wirkung. Im Moment wird das ignoriert. Auch lokal kann das Nennen der Sponsoren im Kontext mit Tierschutzverstößen effektiv sein, besonders wenn Medien wie Lokalzeitung, Radio oder Ähnliches eingebunden werden können. Wenn der Sponsor dann angefragt wird, warum er für so etwas Geld bezahlt…. Wichtig ist, dass es ein ernsthaftes Problem gab, und dass es so gut dokumentiert ist, dass die Delinquenten sich nicht so leicht rausreden können. 

Ich bin erst seit relativ kurzer Zeit in den sozialen Medien unterwegs. Ich hatte mich bisher vor allem mit der wissenschaftlichen Seite der Rollkur befasst. Inzwischen ist mir klar, dass die Wissenschaft hier, wenn überhaupt, nur als Feigenblatt dienen soll und zum Zeitschinden. Es gibt über 1000 Studien zur Rollkur, deren Mehrzahl ganz klar zeigt, dass Hyperflexion für die Pferde schlecht ist, einen „Persilschein“ dafür erteilt keine einzige. Reicht es nicht, wenn klar ist, dass den Pferden die Atmung sehr erschwert wird und sie trotzdem eine sportliche Leistung bringen sollen?! Man kann das hören, wenn man am Viereck steht! Auch das ist etwas, das der Laie leicht erkennen kann. 

Vielen Dank für das ausführliche Interview, Frau Prof. Dr. Kienzle!

Zu unserer Interview-Partnerin:
Prof. Dr. Kienzle ist Tierärztin und war 30 Jahre lang Lehrstuhlinhaberin für Tierernährung an der LMU München, sie ist inzwischen pensioniert. Sie ist Zeit ihres Lebens geritten und hatte eigene Pferde. Sie hat bereits mit 17 gegen die übliche Reiterei rebelliert, nachdem sie die ersten Lehrbücher zur klassischen Reiterei gelesen hatte. Seitdem beschäftigt sie sich mit dem Reitsport, auch unter Einbeziehung der Biomechanik. Schon längere Zeit arbeitet sie am Wissenstransfer für Erkenntnisse rund ums Pferd. Während ihrer beruflich aktiven Zeit tat sie dies vor allem im Bereich der Ernährung, seit dem Eintritt in den Ruhestand auch für die Reiterei. 

 

*Ein Beispiel für eine wissenschaftliche Publikation hierzu. 

Kienapfel, K., Piccolo, L., Cockburn, M., Gmel, A., Rueß, D., & Bachmann, I. (2024). Comparison of head–neck positions and conflict behaviour in ridden elite dressage horses between warm-up and competition. Applied Animal Behaviour Science, 272, 106202.

 

Das Interview führte Isabelle Schäfer

 


© Tierrechte Baden-Württemberg