Tiere stehen nach § 20a GG und §1 Tierschutzgesetz in Deutschland ausdrücklich unter Schutz. Trotzdem leiden und sterben Jahr für Jahr unzählige Tiere als "Versuchsobjekte" in Labors, als "Nahrungsmittellieferanten" in Ställen und Schlachthäusern und als "lebendige Zielscheiben" bei der Hobbyjagd. Zwar darf niemand einem Tier "ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden" zufügen, als "vernünftiger Grund" gilt nach heutigem Rechtsverständnis jedoch fast alles, was Menschen in irgendeiner Weise von Nutzen ist. So dürfen Tieren laut § 7 Tierschutzgesetz Schmerzen, Leiden und Schäden zum Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, zum Erkennen von Umweltgefährdungen, zur Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit und im Rahmen der Grundlagenforschung zugefügt werden.
EU-Tierversuchsrichtlinie
Im Jahr 2010 trat die komplett überarbeitete "EU-Richtlinie zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere" (2010/63/EU) in Kraft. Der zunächst im Jahr 2008 vorgelegte Entwurf hatte zunächst einige positive Verbesserungen enthalten, die aber unter Federführung der deutschen schwarz-gelben Bundesregierung entweder ganz gestrichen oder abgeschwächt wurden. Immerhin wird darin jedoch erwähnt, dass es letztendliches Ziel sei, "Verfahren mit lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen", allerdings mit der Einschränkung "sobald dies wissenschaftlich möglich ist." Die 27 europäischen Mitgliedsstaaten wurden verpflichtet, bis 2012 die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Tierversuchsverordnung
Nach zähem Ringen trat dann im Juli 2013 das völlig unzulängliche neue Tierschutzgesetz und im August 2013 die ebenso mangelhafte Tierversuchsverordnung in Kraft, die selbst hinter den sowieso schon unzureichenden Regelungen der EU-Tierversuchrichtlinie zurückbleiben.
Ein Rechtsgutachten der Universität Basel*, das sechs Verbände, darunter der Bundesverband Menschen für Tierrechte in Auftrag gegeben haben, bestätigt die Forderungen von Tierschutzseite, wonach unter anderem folgende Punkte nicht oder nur mangelhaft umgesetzt wurden:
Verbot für Versuche an Menschenaffen,
Verbot für Tierversuche, die schwere Leiden und Schmerzen verursachen
Verbot für die Ausweitung von Primatenexperimenten.
Kritisiert wird außerdem, dass deutsche Behörden nicht eigenständig ermitteln dürfen, ob ein Experiment unerlässlich ist oder nicht.
Genehmigungspflichige Tierversuche
Tierversuche an Wirbeltieren und Kopffüßern (Tintenfische) sind generell genehmigungspflichtig. Das gilt insbesondere für Versuche in der Grundlagen- und Arzneimittelforschung und wenn die Möglichkeit besteht, dass sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein können. Diese Vorschrift bezieht sich auch auf Eingriffe und Behandlungen am Erbgut von Tieren. Die Antragsteller müssen wissenschaftlich begründet und detailliert darlegen, warum das Versuchsvorhaben unbedingt am Tier durchzuführen ist. Außerdem müssen sie nachweisen, dass sie über eine geeignete personelle, räumliche und organisatorische Ausstattung zur ordnungsgemäßen Ablauf der Versuche verfügen.
Anzeigepflichtige Tierversuche
Bestimmte Tierversuche müssen den zuständigen Genehmigungsbehörden nur gemeldet, aber nicht genehmigt werden. Dabei handelt es sich z.B. um
Versuche, die aufgrund von deutschen und europäischen Gesetzen, vorgeschrieben sind (hauptsächlich Giftigkeitsprüfungen)
Impfungen, Blutabnahmen und diagnostische Maßnahmen
Versuche an Zehnfußkrebsen
Keiner behördlichen Genehmigungs- bzw. Meldepflicht unterliegen alle sonstigen Versuchsvorhaben an und mit Tieren, z.B.:
die Tötung von Tieren zu wissenschaftlichen- oder Lehrzwecken ohne Vorbehandlung
Versuche an wirbellosen und "niederen" Tieren (außer an Zehnfußkrebsen und Kopffüßern)
Versuche mit Tieren, die nicht mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind ( z.B. Fütterungsversuche, Verhaltensuntersuchungen)
Bei diesen Versuchsvorhaben ist lediglich der/dieTierschutzbeauftragte der betreffenden Einrichtung schriftlich zu informieren.
Genehmigungsbehörden
Zuständig für die Genehmigungen (oder Ablehnungen) von Versuchsvorhaben sind die Zulassungsbehörden der Bundesländer (Bezirksregierungen, Regierungspräsidien). In Baden Württemberg sind dies die Regierungspräsidien Tübingen, Freiburg, Stuttgart und Karlsruhe. Die Entscheidungsbefugnis der Genehmigungsbehörden ist allerdings begrenzt. Die EU-Tierversuchsrichtlinie verlangt zwar von allen Mitgliedstaaten ein eigenständiges Prüfungsrecht für die betreffenden Behörden bezüglich der Unerlässlichkeit von Tierversuchen. Das deutsche Tierschutzgesetz beschränkt ihre Zuständigkeit jedoch auf eine Plausibilitätskontrolle. Im Klartext heißt das, dass deutsche Behörden nur prüfen dürfen, ob ein Versuchsvorhaben wissenschaftlich plausibel begründet ist. Sie dürfen jedoch nicht eigenständig ermitteln, ob ein Experiment unerlässlich ist oder nicht.
Ein Tierversuch gilt als unerlässlich, wenn das anvisierte Versuchsziel nicht ohne den Einsatz von Tieren erreicht werden kann. Kann ein Versuchszweck z.B. auch auf tierversuchsfreiem Weg erreicht werden, ist das erforderliche Kriterium der Unerlässlichkeit nicht erfüllt. Grundsätzlich sind bei der Entscheidungsfindung die Regeln des 3R-Prinzips zu beachten (Replacement=Vermeidung, Reduction=Verringerung, Refinement=Verfeinerung von Tierversuchen).
Außerdem muss das geplante Versuchvorhaben ethisch vertretbar sein. Das heißt, Versuche an Wirbeltieren, "die zu länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden" führen, sind nur dann zu rechtfertigen, wenn der erwartete medizinische oder wissenschaftliche Nutzen höher zu bewerten ist als die Belastung der "Versuchstiere".
Genehmigt die zuständige Behörde ein Versuchprojekt, kann sie zugleich festlegen, nach dessen Abschluss eine retrospektive Bewertung vorzunehmen. Dies gilt insbsondere für Versuche an Primaten und für Versuche, die mit langandauerndem schwerem Leiden einhergehen.
Ethikkommissionen (§-15-Kommissionen)
Zur Wahrung des Tierschutzes müssen laut § 15 TSchG sogenannte Ethikkommissionen berufen werden, deren Aufgabe es ist, die jeweilige Genehmigungsbehörde zu unterstützen. Sie bestehen gewöhnlich zu zwei Dritteln aus ehrenamtlich tätigen Veterinären, Ärzten und sonstigen Wissenschaftlern und nur zu einem Drittel aus Tierschutzvertretern. Da viele Wissenschaftler Tierversuche befürworten oder selbst an Tieren experimentieren, werden Versuchsanträge nur selten abgelehnt. Um das Missverhaltnis zwischen Tierversuchsbefürwortern und -gegnern aufzuheben, werden die Ethikkommissionen in Baden-Württemberg auf Betreiben der grün-roten Landesregierung neuerdings paritätisch mit Tierschützern und Wissenschaftlern besetzt.
Versuchtiermeldeverordnung (VersTierMeldV)
Die Verwendung von Wirbeltieren in Tierversuchen muss jährlich statistisch erfasst werden. Die Experimentatoren sind gesetzlich verpflichtet, jeweils bis zum 31. März des Folgejahres Art, Herkunft und Zahl der verwendeten Wirbeltiere sowie Zweck und Art der Verwendung an die zuständigen Landesbehörden zu melden. Diese übermitteln die Angaben an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das die Daten aus den Ländern zusammenführt, an die Europäische Kommission weiterleitet und veröffentlicht.
Seit dem 18.12.2013 gilt die neue Versuchtiermeldeverordnung, die ab 2014 europaweit in einem gemeinsamen Format erfolgt. Danach müssen dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zukünftig auch Versuche an weiteren Tierarten wie an Kopffüßern oder an bestimmte Larven gemeldet werden. Insgesamt werden die zu erfassenden Daten wesentlich umfangreicher und differenzierter ausfallen ‒ und in Folge wird auch die Zahl der gemeldeten "Versuchstiere" steigen. Entgegen der Forderung des Tierschutzes wird jedoch weiterhin die unüberschaubar hohe Zahl der sogenannten "waste animals" fehlen, die als "Abfallprodukte" bei der Herstellung genetisch veränderter Linien getötet werden. Deshalb wird die Statistik auch zukünftig nicht das wahre Ausmaß der Tieropfer sichtbar machen, das das System Tierversuch fordert.
Quellen: Menschen für Tierrechte ‒ Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE): II. Rechtliche Aspekte der Forschung an Tieren
Tierschutzgesetz: Verordnung zum Schutz von zu Versuchszwecken oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren (Tierschutz-Versuchstierverordnung - TierSchVersV)
Verordnung über die Meldung zu Versuchszwecken verwendeter Wirbeltiere oder Kopffüßer oder zu bestimmten anderen Zwecken verwendeter Wirbeltiere (VersTierMeldV 2013)
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