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Primaten

Hirnforschung an Primaten und anderen Tierarten

Makakenmutter mit Kind Foto: Pixabay

Unter der Bezeichnung Hirn- oder Gehirnforschung wird gewöhnlich die Untersuchung der Anatomie und Funktionen des Gehirns von Primaten (d.h. Mensch und Affe) verstanden.

Außer Primaten werden jedoch auch zahlreiche andere Tierarten für die Hirnforschung eingesetzt, u.a. Insekten, Fische, Vögel, Mäuse, Ratten, Meerschweinchen, Frettchen und Katzen.

Nagetiere werden vor allem für Tast- und Riechversuche verwendet, da sie sich in ihrer Umwelt hauptsächlich über die Nase und Schnurrhaare orientieren. Katzen und Affen hingegen verfügen über eine ausgeprägte optische Wahrnehmung. Die Aufnahme und Verarbeitung von visuellen Reizen im Gehirn wird daher gerne an ihnen erforscht. Rhesusaffen sind als "Versuchsmodelle" bei den Experimentatoren besonders beliebt, da sie über ein komplexes Sozialverhalten und über beeindruckende kognitive Fähigkeiten verfügen, die denen von Menschen sehr ähnlich sind.

Erst hirnanatomische Erkenntnisse wurden bereits in prähistorischer Zeit gewonnen. Seit dem 13. Jahrhundert und verstärkt während der Renaissance wurde die Struktur des Hirns genauer erforscht. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gelangten Wissenschaftler durch systematische – und oftmal grausame – Untersuchungen an Tieren und Beobachtungen an Kranken und Verletzten zu detaillierten Erkenntnissen über die Neurophysiologie und die Anatomie des Gehirns.

Die ersten Ergebnisse erzielte man mit der Ausschaltung ganzer Hirnteile durch Amputation (später auch durch chemische Substanzen). An den entstandenen motorischen, sensiblen und kognitiven Ausfällen konnte abgelesen werden, welches Hirnreal für welche Funktion verantwortlich ist. Außerdem entdeckte man, dass sich durch elektrische Reizung Nervengewebe stimulieren und sogar ganze Verhaltensequenzen auslösen lassen. Die deutschen Hirnforscher Gustav Fritsch und Eduard Hitzig etwa reizten im Jahr 1870 den Motorcortex von Hunden elektrisch, woraufhin die Tiere die Beine der entgegengesetzten Körperhälfte bewegten. Zwischen 1870 und 1920 wurden diese Versuche an fast völlig fixierten Tieren durchgeführt. Um 1920 wandte der Schweizer Physiologe W. R. Hess die Hirnreizung erstmals bei wachen, in ihrer Bewegung fast völlig unbehinderten Katzen an. Durch Elektrostimulation des Hypothalamus löste er damit bei den Tieren verschiedene Reaktionen, die von vegetativen Veränderungen bis hin zu aggressivem Verhalten reichten. Die Stimulation bestimmter Regionen der Amygdala (Mandelkern) erzeugte dagegen Angstreaktionen und intensivierte konditionierte Angst. Seitdem wird das Verfahren der Elektrostimulation, aber auch der Amputation von Gehirnteilen bis heute systematisch in Labors auf der ganzen Welt praktiziert.

Ein Beispiel aus dem Jahr 2006: Um herauszufinden welche Gehirnstrukturen und Nervenbahnen für die Lautäußerungen bei Totenkopfäffchen verantwortlich sind, wurden im Deutschen Primatenzentrum Göttingen bei 6 Tieren bestimmte Gehirnareale über eingeführte Elektroden elektrisch (bzw. chemisch) gereizt, bis die Tiere einen bestimmten Laut von sich gaben. An einer anderen Stelle wurde nun eine Säure in das Stammhirn injiziert und erneut elektrische Ströme über die Elektroden verabreicht. Wurde die Säure an die richtige Stelle injiziert, blockiert sie die Lautäußerung des Affen. An dieser Stelle wurde nun eine Markierungssubstanz injiziert, die in den folgenden Wochen entlang der Nervenbahnen zu den Muskeln führte. Nach mehreren Wochen wurde der Versuch beendet und die Affen getötet, um die markierten Nerven zu untersuchen.

Elektrophysiologie
Bei diesem Verfahren werden in "tierischen Modellsystemen" neuronale Mechanismen bei der kognitiven Informationsverarbeitung sowie bei Entstehung und Ablauf von Emotionen, Bewusstsein und Gedächtnisleistungen untersucht. Statt Ströme ins Gehirn zu leiten, werden dabei elektrische Signale von einzelnen Zellen oder Zellverbänden gemessen. Dafür werden Elektroden in das Gehirn eines lebendigen Tieres entweder permanent implantiert (chronisches Implantat) oder nur zeitweilig in spezifische Hirnareale von Interesse gesteckt (akutes Experiment). Ziel ist es, fundamentale Prozesse im Gehirn zu entschlüsseln. Die Versuche werden in der Regel mit dem Argument gerechtfertigt, dass sie dazu beitragen, die Entstehung menschlicher Gehirnkrankheiten wie z.B. Alzheimer und Parkinson zu verstehen und zu heilen.

  "Stella" ©SOKO Tierschutz

Hauptsächlich werden hierfür Rhesus- und Javaneraffen verwendet. Die Versuche laufen in der Regel weltweit nach dem gleichen oder ähnlichen Schema ab. Üblicherweise werden die Tiere in der ersten Phase darauf abgerichtet, stundenlang in einem Affenstuhl fixiert zu sitzen. Danach lernen sie, komplexe Aufgaben am Bildschirm zu lösen. Sie müssen beispielsweise einen Punkt auf dem Monitor verfolgen oder bei bestimmten Bildern einen Hebel betätigen. In der zweiten Phase, dem eigentlichen Experiment, werden ihnen unter Narkose durch ein Loch im Schädel, über das eine Kammer montiert wird, feine Dauerelektroden ins Gehirn eingepflanzt. Um die Tiere zur Mitarbeit zu motivieren, erhalten sie während der stundenlangen Versuche für richtig erledigte Aufgaben ein paar Tropfen Saft. Machen sie Fehler oder verweigern die Mitarbeit, bekommen sie keine Belohnung. Außerhalb der Versuche gibt es nichts zu trinken. Um ihren Durst zu stillen, haben die Tiere somit keine andere Wahl als das zu tun, was die Experimentatoren von ihnen verlangen. Konditionierte Tiere werden jahrelang für verschiedene Versuchsreihen verwendet. Sie leiden permanent unter Durst, unter der Fixierung im Primatenstuhl und dem Anschrauben des Kopfes sowie unter bohrenden Kopfschmerzen, die durch die Schädelimplantate verursacht werden.

Neben Affen und vielen anderen Tierarten wie z.B. Ratten, Katzen und Tauben, sind neuerdings auch die "Primaten der Lüfte", die hochintelligenten Krähen, ins Visier der Neurobiologen geraten. Das Institut für Neurobiologie der Universität Tübingen unter der Leitung von Prof. Andreas Nieder, ist der erste Lehrstuhl, der neurophysiologisch mit Krähen arbeitet. Die dortigen Hirnversuche an Krähen laufen ganz ähnlich ab wie die am Affenhirn. Während der Versuche werden die Krähen mittels Futterbelohnung zur Mitarbeit motiviert. Ziel der Untersuchungen ist es, die physiologischen Prozesse im Krähenhirn, wie z.B. den "Mechanismus der visuellen Speicherung im Arbeitsgedächtnis", zu verstehen. Am Ende der Versuche werden die Krähen getötet und ihr Gehirn untersucht oder sie werden in weiteren Versuchen eingesetzt.

Kritik
Die Versuche sind nicht nur qualvoll, sondern auch unsinnig, da die Gehirne von Tieren und Menschen sich in vielen Bereichen grundlegend unterscheiden. Trotz jahrzehntelanger weltweiter Forschung an Tiergehirnen ist es bisher nicht gelungen, ein Heilverfahren für menschliche Gehirnkrankheiten wie Alzheimer, Epilepsie, Schizophrenie oder Parkinson zu entwickeln. Kein Wunder - Forschungen an "Tiermodellen" eröffnen lediglich einen Einblick in das Gehirn der betreffenden Tierart. Erkenntnisse über menschliche Hirnfunktionen sind dagegen nur am Gehirn des Menschen zu erwerben. Nicht-invasive Verfahren wie z.B. die Positronenemissionstomographie (PET) oder die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) geben detaillierte Aufschluss über Vorgänge im Gehirn, mit deren Hilfe Heilverfahren für Patienten, die an Alzheimer, Parkinson oder anderen neurologischen Erkrankungen leiden, entwickelt werden können.

Der angebliche, bisher aber völlig unbewiesene "Nutzen" der experimentellen Forschung an Tiergehirnen rechtfertigt in keiner Weise das jahrelange Leid, das den unfreiwilligen "Probanden" angetan wird. Insbesondere Versuche, die Schmerzen und Ängste, irreversible Schäden und gar den Tod der Tiere verursachen, sind aus ethischer Sicht absolut inakzeptabel und müssen unterbleiben, selbst wenn damit ein wissenschaftlicher Erkenntnisverzicht einhergehen sollte.

Entscheidungen
In den letzten Jahren wurden deshalb von den zuständigen Behörden in München und Berlin Tierversuchsanträge im Bereich der Hirnforschung an Affen abgelehnt. Auch in Bochum wurden die Versuche im Jahr 2012 endgültig eingestellt. Alle Ablehnungen durch die Genehmigungsbehörden wurden damit begründet, dass das Leid der Affen schwerwiegender als der zu erwartende Nutzen sei.

Auch in Bremen wurde im Jahr 2008 eine Verlängerung der Primatenversuche am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen unter der Leitung des Experimentators Andreas Kreiter 2008 durch den Senat abgelehnt. Nachdem der Hirnforscher dagegen Widerspruch eingelegt hatte, tobte ein jahrelanger Rechtsstreit, der 2012 bedauerlicherweise mit einer verheerenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen endete. Demnach sind Kreiters Experimente aufgrund der angeblich "geringen" Belastung der Tiere weiterhin zulässig. Die daraufhin gegen das Urteile eingelegte Beschwerde der Zulassungsbehörde beim Bundesverwaltungsgericht wurde im Januar 2014 zurückgewiesen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen ist damit rechtskräftig. Die Affen dürfen weiter gequält werden.

Zentren der Hirnforschung

Anders als in Berlin, München und Bremen kennen die zuständigen Genehmigungsbehörden in Marburg, Tübingen, Magdeburg und Göttingen kein Pardon. Hier werden nach wie vor Versuche am Primatengehirn genehmigt und durchgeführt. In Tübingen sind es sogar drei Institute:

  • Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik Tübingen, Abteilung Physiologie kognitiver Prozesse, Spemannstr. 38 - 44, 72076 Tübingen, Leiter: Nikos Logothetis

Den Wissenschaftlern um Logothetis geht es darum, die Physiologie von komplizierten Prozessen wie das Denken und Erinnern zu verstehen. Dazu wenden sie verschiedene elektrophysiologische, bildgebende und anatomische Methoden an. Insbesondere durch invasive elektrophysiologisch Ableitungen von vielen einzelnen Nervenzellen in Tiergehirnen versprechen sich die Experimentatoren grundlegende Aufschlüsse über Funktionsweise des Gehirns.

  • Universität Tübingen, Abteilung Kognitive Neurologie, Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung, Ottfried-Müller-Str. 27, 72076 Tübingen und
    Universität Tübingen, Labor für Primaten-Neurokognition, Abteilung für Tierphysiologie, Institut für Zoologie, Auf der Morgenstelle 28, 72076 Tübingen.
    Leiter: Andreas Nieder

Nieder und seine Mitarbeiter erforschen unter anderem das Zählvermögen von Rhesusaffen und das "Arbeitsgedächtnis" von Krähen, um herauszufinden, wie abstrakte Informationen wie Zahlen und Mengen im Primaten- bzw. Krähengehirn repräsentiert und verarbeitet werden. Die Studien sollen darüber Aufschluss geben, wie höhere Gehirnregionen zielgerichtetes und intelligentes Verhalten hervorbringen. Ziel ist es, die Funktionsweisen hochintelligenter Säugetier- und Vogelgehirne zu erforschen, die sich unabhängig voneinander im Lauf der Evolution entwickelt haben.

  • Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Physik, AG Neurophysik + GRK 1901, Karl-von-Frisch-Straße 8a, 35043 Marburg / Lahnberge, Gruppe Bremmer, Leiter Prof. Dr. Frank Bremmer

Der Schwerpunkt liegt auf der tierexperimentellen Untersuchung der Aktivität von Neuronen im visuellen Cortex. Parallel dazu werden menschliche Wahrnehmungsleistungen untersucht.

  • Universität Magdeburg, Leibnitz-Institut für Neurobiologie, Speziallabor Primatenneurobiologie, Brenneckestraße 6, 39118 Magdeburg, Leiter PD Dr. Michael Brosch

Im Mittelpunkt steht die Erforschung der neuronalen Grundlagen des Hörverhaltens, des Lernens und des Gedächtnisses anhand von Untersuchungen der Aktivitäten einzelner Neuronen und Neuronenverbänden, während die "Versuchtiere" akustische Aufgaben lösen. Neben diesen und anderen Methoden kommt auch die elektrische Gehirnstimulierung zum Einsatz.

  • Deutsches Primatenzentrum GmbH, Leibniz-Institut für Primatenforschung, Kellnerweg 4, 37077 Göttingen, Leiter: Prof. Dr. Stefan Treue

Das Deutsche Primatenzentrum ist ein eigenständiges Forschungsinstitut, das von Bund, Ländern und diversen Forschungsförderungsorganisationen finanziert wird. Am DPZ wird über und mit nicht-menschlichen Primaten in den Bereichen Infektionsforschung, Neurowissenschaften und Primatenbiologie geforscht. Für den eigenen Bedarf, aber auch zur Versorgung anderer wissenschaftlicher Einrichtungen, hält und züchtet das Zentrum verschiedene Affenarten und betreibt vier Freilandstationen in den Tropen. In der Abteilung Neurowissenschaften werden die zentralnervösen Grundlagen der Informationsverarbeitung im Gehirn von Primaten untersucht. Dabei steht die Erforschung der visuellen Wahrnehmung und ihre Beeinflussung durch kognitive Faktoren wie die Aufmerksamkeit im Mittelpunkt.

  • Institut für Hirnforschung, Universität Bremen, Biologischer Garten, Hochschulring 16a,
    28359 Bremen, Leiter: Prof. Dr. Andreas Kreiter

    Ziel ist die Erforschung neuronaler Mechanismen komplexer Hirnfunktionen wie visueller Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis. Die hierfür eingesetzten experimentellen Techniken umfassen verschiedene Arten elektrophysiologischer Multi-Elektrodenableitungen an entsprechend trainierten oder anästhesierten Tieren (Rhesusaffen bzw. Ratten). Zusätzlich werden psychophysische und neuroanatomische Methoden, NMR und Elektroenzephalographie eingesetzt.

 

Quellen
Menschen für Tierrechte ‒ Bunderverband der Tierversuchsgegner e.V.
Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Neurowissenschaften#Geschichte_der_Hirnforschunghttp://de.wikipedia.org/wiki/Neurowissenschaften
J.D. Delius: Elektrische Hirnreizung - ein neuroethologisches Verfahren. s. 263 - 276. In: Verhaltensforschung /hrsg. von Klaus Immelmann. Zürich 1974
Andreas Nieder, Tierphysiologie, Institut für Neurobiologie Tübingen: http://homepages.uni-tuebingen.de/andreas.nieder/
Max-Plank-Institut für biologische Kybernetik Tübingen
Deutsches Primatenzentrum
Universität Magdeburg, Leibnitz-Institut für Neurobiologie, Speziallabor Primatenneurobiologie
Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Physik, AG Neurophysik + GRK 1901


Strafanzeige gegen die Tübinger Affenexperimentatoren

Mit rechtswissenschaftlich vielfach abgesicherter Begründung erstattete Rechtsanwalt Dr. Eisenhart von Loe­per am 5.1.2015 bei der Staatsan­waltschaft Tübingen Strafanzeige gegen die Tierexperimentatoren des Max-Planck-Instituts (MPI) für Bio­logische Kybernetik wegen des Tat­verdachts der Tierquälerei und Tier­tötung. Dr. von Loeper ist ausgewie­sener Experte des Tierschutzrechts und war langjähriger Vorsitzender unseres Bundesverbandes Menschen für Tierrechte. Seit 1990 hatte er sich beharrlich für die Aufnahme des Tier­schutzes ins Grundgesetz engagiert und wurde dafür vor zehn Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz ausge­zeichnet. In der Strafanzeige ver­tritt er die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT), die von ihm ge­leitete Erna-Graff-Stiftung für Tier­schutz und unseren Verein.

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