Mannheim: Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg verklagt das Land Baden-Württemberg - Demo vor der Gerichtsverhandlung in Mannheim
Mannheim: Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg verklagt das Land Baden-Württemberg - Demo vor der Gerichtsverhandlung in Mannheim
2024-03-12 12:54
Gemeinsam mit der Albert Schweitzer Stiftung hielt Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg am Donnerstag, den 8. März, von 9 bis 10 Uhr eine Mahnwache vor dem dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Anschließend startete die Verhandlung der Klage gegen den Landkreis Schwäbisch Hall, weil das zuständige Veterinäramt nicht in eine tierschutzwidrige Putenhaltung eingeschritten war und daraufhin wegen Untätigkeit von Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg verklagt wurde.
Mannheim, 08. März 2024. Mit über 30 Aktivist*innen fand am Donnerstag die Mahnwache vor der Gerichtsverhandlung der sogenannten Putenklage statt. Gemeinsam wurde auf das systematische Leid in der Putenhaltung aufmerksam gemacht. Mit Bannern, Plakaten und zwei überlebensgroßen Puten wurde eine eindrucksvolle Kulisse vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim geschaffen, welche auch auf mediales Interesse stoß. Anschließend nahmen viele der Aktivist*inenn an der um 10 Uhr startenden Verhandlung teil. Aufhänger der Klage waren Aufnahmen aus einem Putenmastbetrieb im Landkreis Schwäbisch Hall, welche massiv tierschutzwidrige Zustände in einer Putenhaltung aufwiesen. Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg forderte die Behörde auf, gegen die schwerwiegenden Verstöße gegen das geltende Tierschutzrecht einzuschreiten und die Putenhaltung zu untersagen. Das zuständige Veterinäramt erkannte keinen Handlungsbedarf, da es sich um eine „gute Putenhaltung“ handele. MfT BW e.V. erhob daraufhin Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Stuttgart gegen den Landkreis Schwäbisch Hall, weil das zuständige Veterinäramt nicht eingeschritten war. Seit dem Jahr 2017 ging die Klage durch verschiedene Instanzen und ist die bisher größte Verbandsklage. Das Urteil könnte Einfluss auf die gesamte Putenhaltung in Deutschland haben.
,,Wird ein Urteil zu unseren Gunsten gefällt, müsste sich jede deutsche Behörde daran orientieren. Denn es gehört zu den Amtspflichten deutscher Amtsträger, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten. Sonst drohen ihnen Disziplinarverfahren oder Schlimmeres, etwa ein Strafverfahren wegen Tierquälerei durch Unterlassen des Einschreitens”, so Julia Thielert, M.Sc. Animal Welfare Science und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg. ,,Die Tierschutznutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) enthält keine Regelungen zur Putenhaltung. Die einzig zur Putenhaltung existierenden Vorgaben stellen eine freiwillige Vereinbarung – und damit keine gesetzliche Regelung – dar, die vom Lobbyverband VDP (Verband Deutscher Putenerzeuger) initiiert und u.a. von Putenzüchtern und Bauernverbänden erstellt wurde.”
Innerhalb der Verhandlung gab es mehrere kleine Erfolge. So gab der vom Gericht bestellte Gutachter zum Beispiel an, dass es keinen wissenschaftlichen Zweifel daran gibt, dass die Schnabelamputation zu dauerhaften Schmerzen bei den Tieren führt.
In der Natur nutzen die Tiere ihre Schnäbel ab und bedürfen deshalb keiner Kürzung. Ein gesundes Pick- und Untersuchungsverhalten können sie in der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht ausleben. Durch die reizarme und vollkommen unartgerechte Haltung entwickeln viele Tiere Störungen. Dadurch beginnen sie sich selbst oder ihre Artgenossen anzupicken und zu verletzen. Zusätzlich kommt es durch die nicht vorhandene Rangordnung häufiger zu Kämpfen. Um die Verletzungen zu minimieren, passt man nun nicht die Haltungsbedingungen an, sondern die Tiere und führt einen schmerzhaften und stark beeinträchtigenden Eingriff durch. Fest steht, werden die Tiere unter artgerechten Bedingungen wie auf Lebenshöfen gehalten, ist keine provisorische Schnabelkürzung nötig. Diese wird erst nötig, wenn die Tiere Stressfaktoren erfahren, ausgelöst durch nicht artgerechte Lebensbedingungen.
Ziel einer Schnabelamputation ist lediglich die Reduktion von Verletzungen durch schädigendes Picken. Beschädigungspicken wird aber durch eine Amputation nicht verhindert, weshalb die Beseitigung der Ursachen stets oberste Priorität haben muss. Die Amputation führt zu Schmerzen, Leiden und Schäden. Der Eingriff hat Einfluss auf die Futteraufnahme und den Pflegezustand. Bei allen Tieren ist von Schmerzen bis mindestens Tag 29 nach der Amputation auszugehen. Ursachen des Schmerzes sind der Eingriff selbst, der folgende Entzündungsprozess, eine höhere Sensibilität des Schnabels, die Manipulation der Wunde durch Nutzung des Schnabels sowie die Bildung von Neuromen am Amputationsstumpf.
Die Schnabelamputation entspricht anatomisch einer Entfernung der Oberlippe zusammen mit dem Teil des Oberkieferknochens, der den Schneidezähnen als Haltungsapparat dient. Dies würde beim Menschen nicht ohne Narkose und anschließender Schmerzbehandlung durchgeführt werden.
Der Tenor des Urteils wird heute erwartet. Es geht um die Auslegung des Paragrafen 2 des Tierschutzgesetzes. Der Verwaltungsgerichtshof muss entscheiden, inwieweit die Putenhaltung nicht nur in dem Betrieb in Schwäbisch Hall dem deutschen Recht widerspricht, sondern auch, inwieweit ggf. ein Verstoß gegen das EU-Recht vorliegt. Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof wäre ebenfalls möglich. Dieser Weg wäre für ein Urteil mit grundlegender Bedeutung für ganz Deutschland wünschenswert. Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg hofft auf ein Ergebnis, welches dem systematischen Leid der Puten ein Ende setzt.
>>> Fotos der Mahnwache (ⓒ Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg) sind hier verfügbar.
Alle Informationen zu Puten und unserer Klage finden Sie hier.
ENDE
Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit 1983 für den Schutz und die Rechte der Tiere einsetzt. Durch Öffentlichkeitsarbeit macht der Verein Tierleid für die Bevölkerung sichtbar und zeigt Alternativen auf. Menschen für Tierrechte ist Mitglied im Landestierschutzbeirat Baden-Württemberg und seit 2016 sind die Menschen für Tierrechte einer der drei anerkannten Verbände für das Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht im Tierschutz (TierSchMVG).
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