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Koalitionsvertrag veröffentlicht - Offener Brief an Bündnis 90/Die Grünen

2021-05-21 11:49

Die Grundlage der Regierungsarbeit in Baden-Württemberg zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der CDU wurde am 11. Mai in Form des neuen Koalitionsvertrags „Jetzt für morgen“ unterzeichnet. Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg hatte vor den Wahlen Wahlprüfsteine erstellt und ist enttäuscht, wie wenig Punkte aus diesen Versprechen im Vertrag zu finden sind. Aus diesem Anlass haben wir uns mit folgendem offenen Brief an Die Grünen gewandt.

Stuttgart, den 18.05.2021

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

Sehr geehrte Landesvorsitzende/r Frau Dr. Detzer, Herr Hildenbrand,

Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg gratuliert Ihnen nochmals zur Wiederwahl und hat mit großem Interesse Ihre Koalitionsverhandlungen verfolgt. Wir setzten große Hoffnungen in diese, da Sie sich in unseren Wahlprüfsteinen sehr positiv zu einem Abbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung und der Unterstützung der pflanzlichen Ernährung äußerten. Im Koalitionsvertrag findet man unter vegetarisch und vegan nur einen Treffer. Es soll täglich eine vegetarische oder vegane Mahlzeit in Kantinen angeboten werden. So positiv das auch ist, hatten wir uns doch etwas mehr Ziele für einen Vertrag gewünscht, der bis 2026 die Basis der politischen Arbeit bildet.

Im Wahlprogramm war noch von einer Reduktion der Tierhaltung die Rede. Auch dass der Konsum von Milchprodukten sinken muss, da diese besonders schädlich für das Klima sind, fand sich auf der Website der Grünen. In unseren Wahlprüfsteinen wurde sich zumindest offen zu einer bio-veganen Landwirtschaft geäußert: „Die Umstellung der Landwirtschaft auf eine bio-vegane Wirtschaftsweise kann aus unserer Sicht eine Ernährungswende nicht ersetzen, sondern muss sie begleiten. Der entscheidende Hebel ist es, die Nachfrage umzustellen. Wir brauchen eine Ernährungswende!“ (1). Eine Unterstützung bio-veganer Landwirtschaft findet keinerlei Erwähnung im Koalitionsvertrag. So wird immer nur von einem Ökolandbau gesprochen, nirgends wird definiert, dass eine Ernährungswende bei der enormen Anzahl an landwirtschaftlich genutzten Tieren unmöglich ist. Im Koalitionsvertrag wird erwähnt, dass die Speisepläne in Kantinen an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) angepasst werden sollen. Das würde, auch wenn nicht weiter definiert, eine klare Reduktion von Tierprodukten in Kantinen bedeuten. Immerhin konsumieren die Deutschen etwa doppelt so viel Fleisch, wie es von der DGE empfohlen wird (2). Auch wenn diese Veränderung zu begrüßen ist, erscheint sie doch zu der in den Wahlprüfsteinen abgegebenen Aussage zu milde. Hier wurde sich wie folgt geäußert: „Wenn wir Fleisch konsumieren, dann in geringen Mengen und von artgerecht gehaltenen Tieren“ (1). Allein über ein vegetarisches oder veganes Gericht in Kantinen werden sich diese geringen Mengen kaum erreichen lassen. Es wird im Koalitionsvertrag zwar auch über Bildungsprogramme im Ernährungsbereich gesprochen, doch hier bleibt alles eher schwammig formuliert. Auch das Wort „pflanzlich“ taucht nicht einmal im Vertrag auf. Für eine Partei, die allgemein für Naturschutz steht, ist dies ein bedauerliches Fazit. Gerade in der Koalition mit der CDU wäre es wichtig gewesen, sich klar auszudrücken. In den Wahlprüfsteinen wurde sich für weniger Import von Fleisch ausgesprochen, ebenso wie auch weniger Exporte von Tieren. Bei den Exporten von landwirtschaftlich genutzten Tieren aus Deutschland handelt es sich zu großen Teilen um Tiere, die in der Milchindustrie permanent entstehen, damit eine Kuh weiterhin Milch (eigentlich für ihr eigenes Baby) gibt. Diese Kälber würden bei gleicher Milchnachfrage auch weiterhin massenhaft entstehen - wo sollen diese also hin? Fleisch setzen sie nicht an, da sie wie eigentlich alle landwirtschaftlich genutzten Tiere auf Hochleistung in einer Disziplin gezüchtet sind. Es scheint, als würde der Koalitionsvertrag ganz bewusst jegliche Wörter wie „Reduktion“ und „pflanzlich“ in Bezug auf die Ernährung vermeiden. Dies muss wohl vor allem auf die Koalition mit der CDU zurückzuführen sein. Dabei sind die genannten Ziele ohne diese Wörter gar nicht machbar. Wenn wir mehr ökologische Lebensmittel, eine artgerechte Tierhaltung und mehr Regionalität wollen, kommen wir an einer deutlich Reduktion des Konsums von Tierprodukten gar nicht vorbei. Vor dem Koalitionsvertrag schienen sich auch die Grünen darüber im Klaren. Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg ist über den nicht zu Ende gedachten Koalitionsvertrag enttäuscht. Von einer Klimapartei hätten wir erwartet, dass sie die Tierhaltung als den größten Einflussfaktor auf den Klimawandel deutlicher in den Fokus stellt (3). Laut einer aktuellen UNO-Studie stellt Fleisch den größten Umweltzerstörer dar, dazu gehört auch das Fleisch aus ökologischer Tierhaltung (4). Dass eine pflanzliche Ernährung der "wahrscheinlich größte Hebel" sei, "um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern", äußerte Umweltwissenschaftler Joseph Poore von der Universität Oxford, nachdem er mehr als 500 Studien zu den Ökobilanzen der Lebensmittelproduktion ausgewertet hatte. Durch die pflanzliche Ernährungsweise gelangen nicht nur weniger Treibhausgase in die Atmosphäre, sondern auch andere Umweltauswirkungen wie der Land- und Wasserverbrauch, die Überdüngung und die globale Versauerung werden reduziert (5).

Zum Thema Tierversuche finden sich einige der positiven Punkte aus unseren Wahlprüfsteinen auch im Koalitionsvertrag wieder. Bedauerlicherweise sind aber gerade die Punkte, die besonders gut definiert waren, im Koalitionsvertrag nicht mehr aufgetaucht. „In Baden-Württemberg wollen wir den Ausstieg aus dem Tierversuch einleiten… Die Landesförderung in diesem Bereich wollen wir ausbauen. Mit den beteiligten Unternehmen und Hochschulen wollen wir einen Maßnahmenplan erstellen mit dem Ziel, Tierversuche zunächst um 50 Prozent zu reduzieren.“ Dies waren sehr konkret formulierte Ziele, die man so im Koalitionsvertrag nicht mehr findet. Es ist wichtig, Ziele klar zu definieren. Umso bedauernswerter ist es, dass dies bereits geschehen war und dann nicht durchgesetzt wurde. Sie wollten Versuche an Primaten grundsätzlich verbieten, so wie sie zum Beispiel in Tübingen aktuell stattfinden. Genauso sollten schwerwiegende Versuche abgeschafft werden. Dass all diese Versprechen im Koalitionsvertrag keinerlei Erwähnung mehr finden, ist angesichts ihrer Tragweite eine große Enttäuschung für sicher viele ihrer Wähler*innen.

In den Wahlprüfsteinen versprachen Sie, sich für ein generelles Handelsverbot von Pelz einzusetzen. Zum Thema Pelz findet man im Koalitionsvertrag nichts, selbstverständlich erwarten Ihre Wähler*innen dennoch, dass Sie dieses Versprechen einlösen. Genauso verhält es sich mit Ihrem abgegebenen Versprechen, sich für ein generelles Verbot für alle Wildtiere in Zirkussen einzusetzen und die versprochene Abschaffung von Delfinarien.

Die Katzenschutzverordnung wird im Koalitionsvertrag nur kurz erwähnt. In unseren Wahlprüfsteinen gaben Sie an, dass sie eine flächendeckende Kastration von streunenden Katzen umsetzen werden, da das aktuelle System über die Kommunen nicht funktioniert. Auch diesen Punkt hätten wir uns so klar definiert im Koalitionsvertrag gewünscht.

Selbstverständlich finden sich auch positive Punkte im Koalitionsvertrag. Dennoch sind leider viele der klar definierten Versprechen entfallen und wurden durch teils sehr schwammige Aussagen ersetzt oder einfach gar nicht mehr erwähnt. In einer Koalition, besonders mit der CDU, ist es wichtig, Ziele in den angesprochenen Bereichen klar zu definieren. Die CDU vertritt hier meist sehr vehement die Erhaltung des Status quo und steht wenig für innovatives Denken. Grundlegende Veränderungen hätten daher unbedingt in einem Vertrag klar definiert werden müssen. Wir bitten Sie dennoch, sich für Ihre abgegeben Versprechen einzusetzen. Ihre Wähler*innen erwarten das auch in der Koalition mit der CDU. Die letzten von Schlachthofskandalen, Pandemie und Klimawandel geprägten Jahre haben gezeigt, dass wir einen grundlegenden Wandel in vielen Bereichen und besonders in dem der landwirtschaftlich genutzten Tiere brauchen. Bitte gehen Sie hier mutig und zielstrebig voran und überlassen Sie diese wichtigen Bereiche nicht allein der CDU.

Mit hoffnungsvollen Grüßen

Julia Thielert

Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V.

 

Quellen

(1) https://www.tierrechte-bw.de/index.php/wahlen-ba-wue-2021.html

(2) https://www.krankenkassenzentrale.de/magazin/deutsche-essen-zu-viel-fleisch-welche-folgen-das-fuer-die-gesundheit-hat-115745#

(3) https://www.andrewknight.info/articles/climate-change/

(4) https://www.theguardian.com/environment/2018/may/31/avoiding-meat-and-dairy-is-single-biggest-way-to-reduce-your-impact-on-earth

(5) https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/uno-bericht-fleischkonsum-ist-groesster-naturzerstoerer-a-0b441812-4ed4-44ca-91a9-a83dedca4dbc

 

Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit 1983 für die Rechte der Tiere einsetzt. Durch Öffentlichkeitsarbeit macht der Verein Tierleid für die Bevölkerung sichtbar und zeigt Alternativen auf. Seit 2016 sind die Menschen für Tierrechte einer der drei anerkannten Verbände für das TierschutzMitwirkungs- und Verbandsklagerecht in Baden-Württemberg.

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