Gemeinsame Pressemitteilung Ärzte gegen Tierversuche e.V. und Menschen für Tierrechte – Tierversuchsgegner Baden-Württemberg e.V. vom 16. Februar 2017
Der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche und die Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg kritisieren die Genehmigungspraxis von Tierversuchen als „Farce mit reiner Alibifunktion“. 98,6 % aller beantragten Tierversuche passieren das Prozedere, obwohl sie in gravierendem Konflikt mit dem Tierschutzgesetz stehen, wie eine Auswertung der Vereine ergibt.
Angefragt haben die Vereine auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes wie viele genehmigungspflichtige Tierversuche bei den vier zuständigen Regierungspräsidien in Baden-Württemberg im Jahr 2015 beantragt wurden und wie viele die Behörde abgelehnt oder genehmigt hat.
Beim Regierungspräsidium Tübingen wurden 209 Tierversuchsvorhaben beantragt. In 155 Fällen wurden die Anträge aufgrund von Rückfragen der Behörde modifiziert bzw. in vier Fällen neu gestellt. Zwei Anträge wurden zurückgezogen. Nach Aussage der Vereine wurde damit de facto kein Antrag von der Behörde abgelehnt. In Stuttgart hat das Regierungspräsidium alle 27 Anträge ohne Änderungen genehmigt. Von den 296 in Karlsruhe beantragten Tierversuchen wurden 187 überarbeitet, aber lediglich vier von der Behörde abgelehnt. Auch in Freiburg ist die Ablehnungsquote marginal, hier wurden von ursprünglich 171 Anträgen nur 6 behördlicherseits abgelehnt. 26 Anträge wurden vom Antragsteller zurückgezogen, so dass von den tatsächlich verbleibenden 145 Anträgen 139 genehmigt wurden.
Damit haben nach Auswertung der Vereine im Durchschnitt 98,6 % aller genehmigungspflichtigen Tierversuchsanträge in Baden-Württemberg, dem Land mit dem bundesweit höchsten Tierverbrauch in Tierversuchen, freie Bahn und lediglich 1,4 % werden abgelehnt. Stuttgart und Tübingen liegen hierbei mit einer Durchlassquote des Tierversuchs von 100 % an der traurigen Spitze, gefolgt von Karlsruhe mit 98,65 % und Freiburg mit 95,86 %.
Die Vereine beurteilen das Ergebnis ihrer Umfrage als höchst alarmierend. Denn in Baden-Württemberg sind die Tierversuchskommissionen, die den Regierungspräsidien beratend zur Seite stehen, seit Kurzem je zur Hälfte aus Tierschützern und Forschern besetzt. Üblich ist eine Besetzung von nur einem Drittel Tierschützern und zwei Drittel Forschern. Dass die Ablehnungsquote der Tierversuche trotzdem so verschwindend gering ist, sehen die Vereine als Beleg dafür, dass die Tierversuchskommission und die Genehmigungspraxis auch weiterhin lediglich eine Farce mit Alibifunktion darstellen, da sie keine wirkungsvolle Handhabe haben, Tierversuche mit Verweis auf die laut Tierschutzgesetz erforderliche „Unerlässlichkeit“ und „ethische Vertretbarkeit“ zu verhindern.
Denn die behördliche Prüfkompetenz wurde im Tierschutzgesetz auf eine bloße Plausibilitätsprüfung reduziert, das heißt, ein Tierversuch muss genehmigt werden, wenn der Antragsteller selbst die Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit wissenschaftlich darlegt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2014 festgelegt, dass Behörden dessen Angaben nicht inhaltlich in Frage stellen dürfen, also keine eigenständige Prüfung vornehmen dürfen.
Da es demnach ausreicht, wenn das Antragsformular richtig ausgefüllt wurde, sehen die Ärzte gegen Tierversuche und Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg das Tierschutzgesetz und Staatsziel Tierschutz mit Füßen getreten und das Genehmigungsverfahren ad absurdum geführt. Zur Verdeutlichung führen sie Beispiele von in Baden-Württemberg genehmigten Tierversuchen an, die ihrer Expertise zu Folge eine ernsthafte inhaltliche und ethische Prüfung nicht bestehen würden.
So werden am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim in einem vom Regierungspräsidium Karlsruhe genehmigten Versuch Ratten wiederholt unausweichlichem Stromschock über das Bodengitter des Käfigs ausgesetzt. Das Tier kann durch Drücken eines Hebels den Elektroschock beenden. Tiere, die den Zusammenhang zwischen Drücken des Hebels und Nachlassen des Schmerzes nicht verstehen und die Stromstöße über sich ergehen lassen, gelten als „erlernt hilflos“, was als „Modell“ in der Depressionsforschung dient.
An der Universität Freiburg werden Mäuse für sechs Minuten am Schwanz mit Klebeband an einer Stange festgeklebt, um menschliche Schizophrenie und Depression zu simulieren. Wenn das Tier aufhört zu zappeln und sich hängen lässt, gilt es als depressiv. An der Universität Tübingen wird Krähen eine Steckdose auf dem Kopf installiert, aus der acht Messelektroden in das Hirngewebe ragen, um die Gedächtnisleistung erforschen. Die Tiere müssen lernen, Fotos auf einem Bildschirm wiederzuerkennen und durch Anpicken mit dem Schnabel ein Bild auszuwählen.
An der Universität Hohenheim wird aus Bevölkerungsstudien bekanntes Wissen, dass eine fettreiche Ernährung die Barrierefunktion des Darms verändern und die Entstehung einer Fettleber begünstigen kann, an Hühnern nachgestellt. Die Tiere erhalten verschiedene Futtermittel und werden am 24. Lebenstag durch Ersticken getötet, um den Dünndarm zu Untersuchungszwecken herauszuschneiden.
Diese und zahlreiche weitere Beispiele sind in der Tierversuchsdatenbank des Ärztevereins dokumentiert.
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