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Tierversuche – mehr statt weniger!

Der Tierschutzverein Stuttgart e.V. hatte am 11.3.2014 in seiner Vortrags­reihe Tierschutz-Treff im Seminar­raum seines Tierheims zu einem Vor­trag über Tierversuche eingeladen, an dem fast 20 Personen teilnah­men. Referent war unser aktives Mit­glied Alex Lunkenheimer, der sich intensiv mit dem schwierigen Thema befasst hatte und zu den folgenden Fragen Stellung bezog:

- Forschung: von wem und wofür?
- Was spricht dafür, was dagegen?
- Alternativen?
- Wer engagiert sich dagegen?

Das Ziel der Veranstaltung war, einen Einblick in die Thematik Tierversuch zu geben. Auf eine Fotodokumenta­tion wurde verzichtet, da sie die Zu­hörer vermutlich zu sehr emotional aufgewühlt hätte. Nach dem Vortrag, der durch Text- und Grafikfolien sehr anschaulich gestaltet wurde, folgte der Film Tod im Labor. Dieser war von der größten englischen Tier­rechtsgruppe Animal Aid produziert und von den Ärzten gegen Tierver­suche übersetzt worden. Der Refe­rent wies darauf hin, dass das 20-mi­nütige Video Szenen mit Tierexpe­rimenten enthalten würde. Seinem Hinweis, dass man in dieser Zeit den Raum verlassen könne, folgte eine Zuhörerin.



Ein Film von Animal Aid, bearbeitet und synchronisiert von Ärzte gegen Tierversuche.


Zunächst zitierte Alex Lunken­heimer einige Zahlen aus der Ver­suchstierstatistik 2012 des Bundes­ministeriums für Ernährung, Land­wirtschaft und Verbraucherschutz. Er führte Beispiele an, dass bei die­sen insgesamt über drei Millionen erfassten Tieren nicht einmal alle ge­töteten erfasst sind. So fehlen unter anderem wirbellose Tiere wie Insek­ten, Schnecken usw., da Experimente mit ihnen nicht genehmigungspflich­tig sind. Während bei den gesetz­lich vorgeschriebenen Tierversuchen seit Jahren ein Abwärtstrend zu ver­zeichnen ist, steigen sie in der Grund­lagenforschung stark an, derzeit ma­chen sie ein Drittel aller Tierver­suche aus.

In ca. 20 Gesetzen, Verordnun­gen und Richtlinien – angefangen vom Arzneimittel- und Chemika­liengesetz bis hin zum Tierseuchen­gesetz – sind Tierversuche vorgese­hen. Allein hieraus geht hervor, in wie vielen Bereichen Tierversuche durchgeführt werden, die der Refe­rent näher ausführte. Durch die EU-Chemikalien-Verordnung REACH, die im Juni 2007 in Kraft trat, müs­sen tausende alte Chemikalien – von Terpentin bis zur Textilfarbe oder zum Maschinenöl auf ihre Giftigkeit an Tieren geprüft werden, sofern kei­ne anerkannten Alternativmethoden vorhanden sind.

Daran anknüpfend kam die Spra­che auf ZEBET, die Zentralstelle zur Erfassung von Ersatz- und Ergän­zungsmethoden zum Tierversuch und ihre Aufgaben. Lunkenheimer erläu­terte das 3R-Prinzip (Ersatz, Reduk­tion, Verminderung von Schmerzen und Leiden) und führte Beispiele von tierfreien Testmethoden und An­wendungsgebieten an. Das EU-wei­te Aus für Tierversuche in der Kos­metik sei bisher der größte Erfolg der Tierversuchsgegner. Im nächsten Kapitel behandelte er das Pro und Contra von Tierver­suchen, in dem er am Beispiel der Insulinentdeckung einen der (weni­gen) Erfolge in der Geschichte der Tierversuche anführte. Die erhöhten Lebenserwartungen in den Indus­trieländern seien jedoch vor allem auf bessere Ernährung, hygienischere Lebensbedingungen und andere ver­haltens- und umweltbedingte Fakto­ren zurückzuführen. Viele der wich­tigsten Entdeckungen und Entwick­lungen im Gesundheitswesen seien klinischen Studien an menschlichen Patienten zuzuschreiben oder der Er­kennung des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung wie beispiels­weise Rauchen und Krebserkran­kung. Auch die Narkose, Röntgen­strahlen, die Bakteriologie, das Ste­thoskop, die künstliche Beatmung, Antisepsis oder Computertomografie seien ohne Tierexperimente entwickelt worden. Andererseits wurden alle Stoffe des täglichen Gebrauchs im Rahmen von Giftigkeitstests anTieren ausprobiert, so dass wir ge­zwungen sind, an Tieren getestete Produkte zu essen oder zu verwen­den.

03 003 Seminar Foto: W. Livaditis

Es folgten einige konkrete Bei­spiele von erfolgreichen Medikamen­ten, die ohne Tierversuche entwi­ckelt worden sind wie der Polio-Impfstoff. Dessen In-vitro-Studien (also im Glas) wurden mit dem No­belpreis ausgezeichnet; erst anschlie­ßend wurde die Substanz an Tieren getestet. Frühere Tierversuche hätten sogar zu falschen Annahmen über den Infektionsweg der Krankheit und zu einer verzögerten Entwicklung des Impfstoffes geführt. Das am meis­ten verbreitete Schmerzmittel Aspirin würde heute keine Marktzulassung mehr erhalten, da es bei fast allen Tieren, darunter Hunde, Katzen, Af­fen, Mäusen und Ratten Missbildun­gen bei den Nachkommen verursacht.
Die Wirkung von vielen bekann­ten Stoffen ist bei Mensch und Tier häufig sehr unterschiedlich. Nur einige Beispiele: Kortison führt bei Mäusen zu angeborenen Missbil­dungen, nicht aber beim Menschen. Dagegen löste das durch viele Tier­versuche als sicher angepriesene Schlafmittel Contergan schwerste Missbildungen bei Föten aus. Peni­cillin ist für Meerschweinchen und Hamster hochgiftig. Insulin verur­sacht angeborene Missbildungen bei Meerschweinchen, nicht aber beim Menschen. Asbest wurde lange als nicht krebserregend eingestuft, weil Ratten und Hamster auch unter ho­hen Dosen keinerlei Krebsentwick­lungen zeigten.

Im Anschluss an diese Beispiele zitierte Alex Lunkenheimer einige Ärzte und Professoren, die sich ge­gen Tierversuche ausgesprochen haben. Zusammenfassend stellte er fest:

  • Die Tierversuche haben bestenfalls in Einzelfällen geringe Erfolge gebracht, oftmals sogar Wissen verzögert (s. Asbest) und dadurch viele Menschenleben gekostet.
  • Die finanzielle Förderung erfolgt sehr einseitig zugunsten von Tierversuchen.
  • Mit Krankheiten verdient die Pharmaindustrie ein Vermögen.
  • Tierversuche geben ein falsches Gefühl von Sicherheit. Die letzte Sicherheit, so hart das ist, kann nur im Versuch am Menschen erfolgen, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen.
  • Tierversuche beschäftigen ein Heer von Tierzüchtern, Käfigherstellern und Forschern, zumeist auf Kosten der Bevölkerung in Form von Steuergeldern (Forschung) oder Umlagen (Krankenkassen).

Als nächstes benannte der Refe­rent einige große Versuchseinrich­tungen im In- und Ausland. Durch Undercover-Recherchen sei ein teil­weise grausamer Umgang mit Tieren aufgedeckt worden. Dokumentiert wird das unter anderem im später gezeigten Film Tod im Labor.

Als wichtigste Gegner von Tier­versuchen in Deutschland stellte Lunkenheimer die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. (ÄgT) mit ihrer medizinischen Fachkompetenz vor, auf deren Informationen er sich in seinem Vortrag wesentlich gestützt habe. Aber auch Tierrechtsorganisa­tionen wie unser Verein und weitere Gruppen würden sich gegen Tierver­suche einsetzen.

Der Begriff Tierschutz sei weit gefasst. Zur Klarstellung der unter­schiedlichen Formen führte er an:
Organisationen wie der WWF oder Nabu kümmern sich satzungs­gemäß um den Artenschutz, nicht jedoch um Einzeltiere oder um das Thema Tierversuche.
Tierschutzvereine, wozu die meis­ten Tierheime gehören, nehmen sich dagegen der Einzeltiere an, wollen sie vor Schmerzen oder Leiden schützen. Sie tolerieren jedoch die Nutzung von Tieren durch Menschen. Tierrechtler fordern Grundrechte für Tiere und lehnen jede Form von Tiernutzung inklusive Tierversuchen ab und leben typischerweise vegan.

Anschließend stellte Alex Lunken­heimer nationale und internationale Kampagnen zur Abschaffung von Tierversuchen oder gegen einzelne Tierversuchseinrichtungen sowie Transportunternehmen von Tieren für Versuchslabore vor. Auf einige ging er – unterstützt durch Folien – detaillierter ein und schilderte ein paar Erfolge. Allerdings musste er feststellen, dass sich diese bislang leider noch in Grenzen halten. Die wichtigsten Waffen im Kampf gegen Tierversuche würden jedoch darin liegen, die Öffentlichkeit da­rüber zu informieren, denn die Tier­experimentatoren würden lieber hin­ter verschlossenen Labortüren arbei­ten und Transparenz scheuen.

Auf einer weiteren Folie ver­zeichnete er die Quellen und Links zu seinem Vortrag. Zur weiteren In­formation hatte er Bücher und Zeit­schriften mitgebracht und verwies auf die genannten Organisationen und das Internet.

Zum Schluss seines Vortrags stellte Lunkenheimer fest, dass es möglich ist, Tierversuche abzuschaf­fen – wenn auch nicht in kurzer Zeit. Er appellierte an die Teilneh­mer, den Tieren ihre Stimme zu ge­ben. Jeder könne dazu beitragen, Tier­versuche abzuschaffen. Aber jeder, der schweigt, würde die Verantwor­tung tragen für das, was in den La­boren passiert. Weiter führte er aus:
„Der folgende Film zeigt einen Einblick in die grausame Welt der Versuchslabore. Solche Bilder sind nicht leicht zu ertragen. Aber die Zustände zu ignorieren heißt, sie zu akzeptieren. Wenn wir wegschauen, wird sich nichts ändern. Nur wenn wir hinsehen und das Leid ertragen, sind wir bereit, gegen Tierversuche zu kämpfen. Nur dann wird es frü­her oder später keine Tierexperi­mente mehr geben!"

Bei der anschließenden Diskus­sion zeigten sich die Zuschauer über die Szenen aus den Versuchslabors erschüttert. Deshalb war man sich einig, dass Tierversuche so schnell wie möglich abgeschafft und durch tierfreie Testmethoden ersetzt werden müssten. Allerdings wurde festge­stellt, dass im Gegensatz dazu im­mer neue Tierversuchslabors gebaut und bestehende vergrößert werden. Heftig kritisiert wurden die Tübin­ger Primatenversuche. Es wurde er­örtert, was man gegen Tierexperi­mente unternehmen könne. Als ak­tuelles Beispiel wurde auf die Kam­pagne gegen Air France hingewie­sen, die als eine der letzten Flug­gesellschaften Affen für Tierversuche transportiert. Großes Interesse be­stand daran, wo man tierversuchs­freie Produkte, darunter Kosmetik, kaufen könne.

Alle Teilnehmer waren von dem hervorragenden Vortrag und dem Dokumentarfilm äußerst beeindruckt. Auf Grund der positiven Resonanz sind weitere Vorträge geplant. Ein Termin ist bereits am 7.12.2014 beim Vegan-Brunch des Tierrechtsvereins ARIWA in Aalen vorgesehen, weitere Termine sind in Vorbereitung.

© Tierrechte Baden-Württemberg