Als Tierrechtsverband sind wir davon überzeugt, dass unsere Mitgeschöpfe ein Leben frei von menschlicher Verfolgung und Ausbeutung verdienen. Das Töten und Verletzen von Tieren ohne Not halten wir für ethisch verwerflich. Ausnahmen vom Tötungsverbot sind unserer Meinung nach nur in Notwehrsituationen zu rechtfertigen. Wir treten daher mit Nachdruck für die vollständige Abschaffung aller Tierversuche und den Einsatz tierversuchsfreier, humanspezifischer Methoden ein. Damit sind wir nicht allein. Auch zahlreiche Wissenschaftler stellen mittlerweile nicht nur den Nutzen von Tierversuchen, sondern auch deren ethische Berechtigung in Frage.
Ethische Argumente
Tiere sind weder dumpfe Reiz-Reaktions-Organismen, auch keine "Testobjekte" oder "Krankheitsmodelle", sondern empfindsame und leidensfähige Geschöpfe wie wir Menschen. Geist, Bewusstsein und "Moral" sind lange vor dem Auftauchen des Homo sapiens im Tierreich entstanden. Die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren hinsichtlich ihrer Intelligenz (einschließlich des Bewusstseins) sind nur quantitativer, aber nicht qualitativer Natur. Selbst Wirbellose wie z.B. Oktopus und Honigbiene zeigen kognitive Leistungen, die denen "höherer" Säugetiere vergleichbar sind. Viele Tierarten verfügen über ein komplexes Gefühlsleben und sozial "Tugenden" wie Empathie, Fürsorge für andere, Bindung und Freundschaft, Konfliktlösungsstrategien und gegenseitige Hilfe, Gerechtigkeitssinn und Fairness.
Der ethische Aspekt ist aus unserer Sicht das stärkste Argument gegen die tierexperimentelle Forschung. Tiere sind nicht für uns Menschen in der Welt. Sie haben ihren eigenen Wert. Wie wir wollen auch sie leben und nicht leiden. Weder wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn noch die vielbeschworene Forschungsfreiheit rechtfertigen es, sie für unsere Zwecke zu quälen und zu missbrauchen. Dass ihnen nach wie vor Dinge zugemutet werden, die wir selbst als unerträglich empfinden, ist ein Schande - nicht nur für die Wissenschaft, sondern für die ganze menschliche Zivilisation.
Wissenschaftliche Aspekte
Obwohl Tierversuche nie einer Untersuchung auf ihre Sicherheit, Zuverlässigkeit, Aussagekraft oder Übertragbarkeit unterzogen wurden, gelten sie nach wie vor als Goldstandard in der medizinischen Grundlagenforschung und sind v.a. für Sicherheitsprüfungen (z.B. von Chemikalien, Medikamenten, Medizinprodukten, Pflanzenschutzmittlen) sogar gesetzlich vorgeschrieben.
Ergebnisse aus Tierexperimenten lassen sich jedoch nicht oder nur in sehr begrenztem Ausmaß auf Menschen übertragen, da sich Menschen hinsichtlich ihrer anatomischen und physiologischen Eigenschaften und der Funktionsweise ihres Stoffwechsels erheblich von anderen Tieren unterscheiden.
Bekannteste Beispiele für die unzureichende Aussagekraft von Tierversuchen in der Arzneimittelforschung sind Contergan, der Cholesterinsenker Lipobay, das Schmerzmittel Vioxx oder das Antikörperpräparat TGN1412. Obwohl erfolgreich an Millionen von Tieren getestet, wurden diese und unzählige weitere Arneimittel in den vergangenen Jahrzehnten wieder vom Markt genommen, weil sie bei zahlreichen Patienten zu teilweise gravierenden Nebenwirkungen führten. Dazu Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Hartung (Pharmakologe und Toxikologe an der Universität Konstanz und John-Hopkins-Universität in Baltimore, USA): "Das Problem der Tierversuche in den Lebenswissenschaften ist, dass wir deren Wert überschätzen. Wir sind halt keine 70-kg-Ratten. 90 Prozent der Medikamente, die erfolgreich im Tierversuch waren, versagen beim Menschen; 20 Prozent wegen Nebenwirkungen, 40 Prozent wegen mangelnder Wirkung."
Immer mehr Studien belegen, dass Tierversuche schon im Ansatz wissenschaftlichen Qualitätskriterien nicht genügen. Nur einige Beispiele:
Eine 2005 veröffentlichte Bestandsaufnahme der klinischen Relevanz von 51 genehmigten Tierversuchsprojekten des Münchner Biologen Prof. Toni Lindl (u.a.) ergab, dass die daraus gewonnenen Ergebnisse nur bei 0,3 Prozent auf den Menschen übertragbar waren. Keines davon war in irgendeiner Weise klinisch relevant und hat zu einer Therapie geführt.
Die Autoren einer 2014 in der medizinischen Fachzeitschrift British Medical Journal erschienenen Studie kamen zu dem Schluss, dass zahlreiche Ansätze, die im Tierversuch zunächst vielversprechend erschienen, beim Menschen versagten und zu keiner klinischen Anwendung führten. So folgte aus jahrzehntelanger Schlaganfallforschung trotz eines immensen Aufwandes an Menschen, Tieren und Geldmitteln keine einzige Therapie für den Menschen. Auch bei Versuchen an einem „etablierten Mausmodell“ zur amyotrophen Lateralsklerose (Erkrankung des motorischen Nervensystems) mit mehr als 100 Medikamenten erwies sich keines als brauchbar für eine Behandlung am Menschen.
Eine weitere in der Fachzeitschrift ALTEX erschienene Arbeit amerikanischer Wissenschaftler ergab, dass nach jahrzehntelangen Versuchen zur Erforschung und Behandlung der Alzheimer-Krankheit an 22 verschiedenen "transgenen Mausmodellen" und der klinischen Realität eine große Lücke klafft. Die Krankheit wird nach wie vor nicht völlig verstanden und es gibt nur wenige Behandlungsoptionen. Grund hierfür ist die mangelhafte Darstellung der klinischen Situation des Menschen an Tieren. Zudem wird beim Menschen Alzheimer zu einem großen Teil gar nicht durch genetische Faktoren ausgelöst.
Umgekehrt können Tierversuche die Einführung nützlicher Medikamente verhindern, weil sie aufgrund "falscher" Befunde bei Tieren vorzeitig aussortiert werden. Viele hilfreiche Arzneimittel, wie Aspirin, Ibuprofen, Insulin, Penicillin oder Phenobarbital stünden uns heute nicht zur Verfügung, wenn sie bei ihrer Entwicklung an Tieren getestet worden wären. Diese Substanzen verursachen nämlich bei bestimmten Tierarten gravierende Schäden oder führen zum Tod. So ruft Penicillin etwa bei Hamstern und Meerschweinchen schwere, meist tödlich verlaufende Darmentzündungen hervor, während Katzen auf Aspirin mit Magenblutungen, Leberschäden, Knochenmarksschädigung, Blutbildveränderung, Erbrechen und Krämpfen reagieren.
Medizinische Aspekte
Menschliche Krankheiten werden durch vielerlei Ursachen ausgelöst, wobei das wechselseitige Zusammenwirken von psycho-sozialen, genetischen, ernährungs- und umweltbedingten Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Krankheitsentstehung des Menschen spielt. In der tierexperimentellen Medizin lassen sich diese Einflüsse in ihrer Gesamtheit niemals darstellen. Gentechnisch, operativ oder chemisch manipulierte "Tiermodelle" simulieren lediglich einzelne Symptome, tragen aber keinesfalls Fall die komplette Erkrankung des Menschen in sich. Letztendlich kann jedes Wissen über Krankheitsentstehung und -therapie, über Verträglichkeit und Wirkung von Arzneimitteln und Chemikalien nur am Menschen selbst und nicht am Tier gewonnen werden. Zellkulturen von Menschen und Tieren, Organs-on-Chips-Systeme aus Haut-, Leber-, Lungen-, Nieren-, Blutgefäß-, Lymphknoten- und Nervenzellen, bildgebende Verfahren, epidemiologische und klinische Studien, Computersimulationen usw. sind nicht nur kostengünstiger, sondern liefern häufig auch schnellere und weitaus verlässlicherer Ergebnisse als Versuche an Tieren.
Ein Ende der Tierversuche würde nicht das Ende des medizinischen Fortschritts bedeuten, sondern die forcierte Entwicklung tierfreier Forschungs- und Testmethoden und damit den Beginn einer wahrhaft ethischen und patientenorientierten Wissenschaft.
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