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Jagdlust

Jagdlust

Die Passion des Jägers

Niemand wird zum Jagen gezwungen. Dennoch nehmen Jäger erhebliche Kosten und Mühen in Kauf, um Wildtieren aufzulauern und sie zu töten. Was treibt sie dazu? Als Begründung werden in der Regel zweck-rationale Argumente, wie etwa der Schutz der Artenvielfalt, intensives Naturerleben und die Beschaffung von hochwertigem Fleisch vorgebracht. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die angeführten Motive jedoch als wenig schlüssig. Denn weder intensive Naturerfahrung oder praktizierter Artenschutz noch der Erwerb naturbelassener Nahrungsmittel setzen die Jagdausübung als notwendige Bedingung voraus.

Jäger beschreiben die Jagd gewöhnlich als intensive Leidenschaft, als "Kick", der ihnen im gewöhnlichen Alltagsleben versagt bleibt. Ein junger Jäger drückt es so aus: "Wenn ich die Wahl habe, mit meinen Hunden zu jagen oder dem Ruf einer schönen Frau zu folgen, weiß ich, wofür ich mich entscheide." Dem Jagdbedürfnis müssen also mächtige emotionale Antriebskräfte zugrunde liegen, deren Wurzeln nicht nur Außenstehenden, sondern auch Jägern selbst oftmals verborgen bleibt.

Auf der Suche nach möglichen Erklärungen für das Bedürfnis, Wildtiere zu töten, lohnt sich ein Blick in die einschlägige Jagdliteratur. Hier finden sich diverse theoretische Ansätze, die Licht auf die oft unbewussten Motive der Jäger werfen.

Archaischer Trieb oder Kulturprozess
Vielfach wird von Jägerseite ein archaischer Jagdtrieb geltend gemacht, der wie der Sexualtrieb im Menschen genetisch angelegt sei. Der Jäger, Rechtsanwalt und Autor Florian Asche bekennt sich mit folgenden Worten zu seiner Passion: "Wir jagen nicht, um das ökologische Gleichgewicht herzustellen. Zumindest ist das nicht das auslösende Motiv unserer Anstrengungen. Es ist nur eine Rechtfertigung für unsere Triebe und Wünsche, die viel tiefer gehen, als die Erfordernisse der Wildschadensvermeidung und des ökologischen Gleichgewichts [...] Sex haben wir, weil er uns Lust und Genuss bereitet. Auf die Jagd gehen wir, weil sie uns Genuss und Lust bereitet." Diese Triebe auszuleben sei ebenso legitim wie wichtig für die seelische Gesundheit. Unbeantwortet bleibt indes die Frage, warum die Bevölkerungsmehrheit psychisch unauffällig bleibt, obwohl sie den angeblich universellen menschlichen Jagdtrieb weder in sich verspürt geschweige denn an Wildtieren auslebt. So sieht auch der Psychoanalytiker und passionierte Jäger Paul Parin die Ursache der Jagdleidenschaft nicht im einem genetisch verankerten Instinkt, sondern in der Sozialisation des Jägers in seiner jeweiligen Kultur: "In seiner Sozialisation hat er den verbotenen Genuss des Verbrechens, von Grausamkeit und Mord, und die Lust ungehemmter Sexualität übernommen."

Jagd als Kompensation von Ängsten und Unsicherheit
Im Gegensatz dazu deutet der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuss das Jagdbedürfnis als psychische Störung: „Jagd ist nur eine feige Umschreibung für besonders feigen Mord am chancenlosen Mitgeschöpf. Die Jagd ist eine Nebenform menschlicher Geisteskrankheit." Der Biologe und Ökologe Karl-Heinz Loske, selbst ehemaliger Jäger, kommt in seinem Buch „Von der Jagd und den Jägern" zu einem ähnlichen Ergebnis. Als Jugendlicher von der Jagd begeistert, warf er seine Flinte ins Korn, nachdem er die ersten Tiere erschossen hatte. Loske räumt zwar ein, dass jeder Jäger anders sei. Doch kristallisiere sich bei genauer Analyse ein gemeinsamer Nenner heraus: Jagd sei die Suche nach Macht, Lustgewinn, Prestige und Selbstbestätigung. In Jägern wirke ein uraltes Männlichkeitsideal, ein Streben nach Beherrschung und Manipulation der Umwelt, das zur Kompensation von inneren Ängsten, Unsicherheit, Frustration und Minderwertigkeitsgefühlen diene.

Tiertötung als Abwehr der Todesangst
Bei Jägern löst das Töten von Tieren durchaus auch zwiespältige Gefühle aus. Einerseits ist ihnen bewusst, dass das Erlegen des Wildes notwendig ist, um den angestrebten emotionalen Höhepunkt (Kick) bei der Jagdausübung zu erreichen, gleichzeitig leugnen viele vehement, Lust beim Töten zu empfinden. Der Philosoph, Publizist und Jäger Günter Reinhold Kühnle bezeichnet diese Ambivalenz als das "emotionale Jagdparadox". Dessen Entstehung falle mit der Evolution des Selbstbewusstseins und damit des Todesbewusstseins zusammen. Die Gewissheit der eigenen Vergänglichkeit löse im Menschen häufig extreme Angst aus, der er mit Hilfe verschiedener Bewältigungsmechanismen zu entfliehen versuche. Kühnle schreibt: " Der erlebte Kick beim Töten des Wildes ist demgemäß nicht Lust am Töten, sondern die Erfahrung einer extremalen Befriedigung vermittels (virtueller) Macht über die [...] unbeherrschbar und unabwendbar bedrohlich erscheinende Natur. Das Tier bzw. das individualtierische Leben ist nur Vermittlungsgestalt. Das erlebte Glück, die Freude und Zufriedenheit, die Zerstreuung usf. beruhen auf der virtuellen, nie bewußt vom Individuum erfahrenen Überwindung der Todesangst." Auch Gerd Rohmann, Professor für Anglistik und langjähriger Jäger, identifiziert das Jagen als "motivierende Kraft, die uns im Tötungsakt ein Gefühl der Macht, der Überlegenheit, der Beherrschbarkeit der Natur vermittelt." Der Jäger entfliehe dem beängstigenden Bewusstsein der eigenen Endlichkeit, indem er sich mit der Vernichtung des "Naturdings Wild" zum Herrscher über Leben und Tod aufschwinge und sich damit der tödlichen Übermacht der Natur widersetze, ‒ ein Befreiungsschlag, der mit einem "exorbitanten Lusteffekt" im Moment des Tötens einhergehe.

Fazit
Den beschriebenen Erklärungs- und Rechtfertigungsversuchen gemeinsam ist die weithin fehlende Wahrnehmung des gejagten Tiers als individuelles leidensfähiges Individuum. Aus einer überwiegend anthropozentrischen Perspektive werden Wildtiere zu einer bloßen Metapher der Natur degradiert und als Zweckobjekte der Existenzbewältigung instrumentalisiert (etwa bei Kühnle und Asche). Einige Autoren, wie beispielsweise Rohmann, erkennen zwar die "biologisch-strukturellen" und "seelischen" Gemeinsamkeiten von Menschen und Tieren an, bleiben aber einem hierarchisch strukturierten Weltbild verhaftet, wonach die "niedrigeren" Lebewesen den Interessen der "höheren" zu dienen haben: "Da alles in der Natur auf den Menschen hingeordnet zu sein scheint, rangieren wir auf höchster Ebene der zoologischen Hierarchie. Daraus ergeben sich Rechte und Ansprüche von Prädatoren gegenüber anderen, niederen Rängen bis hin zur Pflanze", so Rohmann.

Die Philosophin, Publizistin und Politikwissenschaftlerin Petra Mayr weist in ihrem Aufsatz "Just for Fun oder Angst vor dem Tod? Erklärungsversuche für das Jagdbedürfnis von Freizeitjägern" darauf hin, dass gerade die körperliche und emotionale Ähnlichkeit des Tieres mit dem Menschen eine notwendige Bedingung für die Jagd ist: "Die immer wieder betonte Lust an der Jagd setzt allerdings voraus, dass das Tier eine Ebenbürtigkeit als "Sportpartner" etwa auch im Hinblick auf das Fluchtverhalten aufweist. Dafür scheinen nur hochentwickelte, sensitive, leidens- und schmerzempfindliche Lebewesen, wie das bei den bejagten Tieren der Fall ist, konstitutionelle Voraussetzungen mitzubringen [...] Wenn aber das Machtspiel und somit Machtvariationen als "lustvolle" Komponenten bedeutsam sind, dann wird die körperliche Ähnlichkeit von Wildtieren mit uns bedeutsam, damit die Kontrolle über das Tier auch als solche empfunden wird." Es wäre unzutreffend, dieses Machtspiel als Mangel an Empathie zu interpretieren. Der Jäger nütze vielmehr seine Fähigkeit, sich (zumindest kognitiv) in das Verhalten und Empfinden der Tiere hineinzuversetzen und sie zielgerichtet (und nicht selten auf grausame Weise) zum Schaden der Tiere einzusetzen. Der Psychoanalytiker und Jagdautor Paul Parin findet dafür deutliche Worte: "Jagd eröffnet einen Freiraum für Verbrechen bis zum Mord und für sexuelle Lust, wann und wo und von wem immer gejagt wird."

Petra Mayr kommt zu dem Schluss, dass "mit dem 'sportlich motivierten' Verletzen und Töten von Wildtieren durch Freizeitjäger [...] Verhaltensweisen wie Grausamkeit und Brutalität 'kultiviert' und zugleich ideologisch überhöht [werden], die es im zwischenmenschlichen Bereich zu eliminieren gilt." Es sei erstaunlich, dass jagdliches Töten noch immer rechtlich legitimiert sei. Wen wundert es also, dass sich sich eine immer größer werdende Kluft auftut zwischen "jenen, die für ihr privates Tötungsinteresse von Tieren als Freizeitbeschäftigung gesellschaftliche Anerkennung einfordern, und jenen, die im Töten-Wollen das sehen, was es jenseits jeder inneren Motivation bleibt: eine Kultivierung von Grausamkeit."


Quellen:
MAYR, P.: Just for Fun oder Angst vor dem Tod? Erklärungsversuche für das Jagdbedürfnis von Freizeitjägern. In: TIERethik, 5. Jg. 2013/2

ROHMANN, G.: Neue Gedanken zur Lust an der Lust zwischen Erleben und Erlegen. Vortrag bei der Jahrestagung 2004 in Mespelbrunn/Spessart des FORUM LEBENDIGE JAGDKULTUR e.V.

ASCHE, F.: Jagen, Sex und Tiere essen.Die Lust am Archaischen, Melsungen, 2012

LOSKE, K.-H.: Von der Jagd und den Jägern. Bruder Tier und sein Recht zu leben. Münster (Westf.) 2006

KÜHNLE, R.: Die Jagd als Mechanismus der biotischen und kulturellen Evolution des Menschen. Diss., Universität Trier, 2003 http://ub-dok.uni-trier.de/diss/diss45/20030120/20030120.htm

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