von Torsten Pasler
In Europa werden jedes Jahr über 200 Millionen Wildvögel durch Jagd getötet. Während der Vogelmord in Mittelmeerländern wie Italien und Malta seit langem bekannt ist, wurden die höchsten Opferzahlen in Frankreich und Großbritannien ermittelt; Deutschland liegt innerhalb der EU auf Platz 6.
Von den rund 500 in Europa brütenden oder rastenden Vogelarten dürfen nach den Vorschriften der Europäischen Vogelschutzrichtlinie 82 Arten offiziell bejagt werden. Wie viele Tiere die Jäger jedes Jahr tatsächlich töten, war bisher unbekannt, weil in der EU keine einheitliche Erfassung der Abschusszahlen erfolgt. Der Aktionsgemeinschaft Komitee gegen den Vogelmord e.V. gelang es im Jahr 2005 durch eine intensive Literatur- und Internetrecherche, Daten zu rund 81,5% aller für eine Übersicht notwendigen Einzelstrecken von Arten zusammenzutragen und auszuwerten. Diese internationalen Tötungszahlen sind im Internet veröffentlicht unter www.komitee.de.
Die aufwendige Analyse brachte zu Tage, dass Europas Jäger jedes Jahr ganz offiziell über 100 Millionen Vögel töten. Von allen 27 untersuchten Ländern lag Frankreich mit jährlich 25 Millionen getöteter Vögel an der Spitze, gefolgt von Großbritannien mit 22 Millionen und Italien mit 17 Millionen; in Deutschland waren es noch 2,3 Millionen. Im Untersuchungszeitraum waren Fasane mit jährlich 21,9 Millionen die am meisten geschossenen Vögel. An zweiter Stelle standen mit 15,5 Millionen Opfern die Ringeltauben, an dritter Stelle wurden 14,9 Millionen Singdrosseln erlegt.
Viele Arten mussten bereits durch die Lebensraumzerstörung in den Brut- und Überwinterungsgebieten große Bestandseinbußen hinnehmen. Die Jagd führt zu zusätzlichen Verlusten, die den weiteren Fortbestand gefährden. Bedroht sind insgesamt 22 jagdbare Vogelarten: Waldschnepfen, Wachteln und Turteltauben, aber auch Bekassinen, Goldregenpfeifer und Große Brachvögel. Obwohl den EU-Behörden bekannt ist, dass beispielsweise die Feldlerchen in Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden seit 1970 um mehr als 50% abgenommen haben, werden sie weiter als jagdbar eingestuft und ganz legal mehr als 2,5 Millionen jährlich erschossen oder mit Netzen gefangen.
Die vom Komitee gegen den Vogelmord vorgelegten Zahlen enthalten lediglich die „reguläre" Vogeljagd innerhalb der Europäischen Union. Nicht enthalten sind die Zahlen aus Weißrussland, Russland, Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Außerdem sind die Abschusszahlen von eigentlich unter Artenschutz stehenden Vögeln, die über Sondergenehmigungen bejagt werden – wie etwa Kormorane in Deutschland – nicht erfasst. Ebenso fehlen Zahlen über Wilderei und die Anzahl der bei der Jagd verwundeten Tiere. Experten nehmen an, dass jeder vierte Vogel nur angeschossen wird und irgendwo seinen Verletzungen erliegt. Schätzungen zufolge dürfte sich die Zahl der jährlich in Europa von Menschenhand getöteten Wildvögel im Bereich von über 200 Millionen bewegen.
Ägypten
Die deutschen Fernsehzuschauer haben im Juni 2013 in einer Sendung von Report München vom erschreckenden Ausmaß des Vogelfangs in Ägypten erfahren. Wenn im Herbst unsere Vögel zum Überwintern nach Süden fliegen, erstreckt sich eine lückenlose Reihe von Fangnetzen über mehr als 700 Kilometer entlang der ägyptischen Mittelmeerküste. Nach Schätzung des Vogelschutzexperten Lars Lachmann vom Naturschutzbund Deutschland werden dort jeden Herbst etwa 140 Millionen Zugvögel gefangen. Jeder 17. europäische Zugvogel stirbt in den ägyptischen Netzen. Außerdem werden an vielen Seen Wasservögel gefangen und Großvögel nach Belieben mit Gewehren abgeschossen.
Dieser Zustand macht die in Deutschland und anderen Ländern unternommenen Naturschutzanstrengungen zunichte und verletzt die auch von Ägypten zum Schutz wandernder Tierarten unterzeichneten internationalen Abkommen.
Zypern
Auf der Mittelmeerinsel ist der Vogelfang zwar verboten, wird jedoch illegal insbesondere im griechischsprachigen Süden durchgeführt. Die Behörden unternehmen praktisch nichts, das Verbot durchzusetzen. In Mandel- und Olivenhainen stellen unzählige Vogelfänger Netze und Leimruten zum Fang der rastenden Zugvögel auf. Besonders zahlreich gehen Drosseln und Grasmücken in die Fallen, aber auch andere geschützte Arten. Die erbeuteten Tiere landen im Kochtopf und nicht selten in Restaurants, wo sie ungeniert als Delikatessen teuer angeboten werden.
Seit dem Jahr 2008 führt das Komitee gegen den Vogelmord in jedem Frühling große, international besetzte Vogelschutzcamps auf Zypern durch. In Kooperation mit den Behörden und Partnerverbänden vor Ort werden so jährlich mehr als 2.500 Fanggeräte abgebaut, Dutzende elektronische Lockanlagen unschädlich gemacht und Hunderte Vögel befreit; mehrere Wilderer wurden in flagranti erwischt. Restaurants, die Singvögel anbieten, werden vom Komitee regelmäßig kontrolliert und angezeigt.
Malta
Mit seiner zentralen Lage im Mittelmeer ist der Archipel vor allem bei schlechtem Wetter für zahlreiche Zugvögel ein wichtiger Rastplatz zwischen Europa und Afrika. Der Einflug großer Vogelschwärme auf Malta und Gozo ist ein einzigartiges Naturschauspiel, das jedes Jahr zahlreiche Vogelbeobachter begeistert. Leider sind der Abschuss geschützter Arten und der illegale Vogelfang nach wie vor weit verbreitet. Insbesondere an den Schlafplätzen der Vögel richten Wilderer trotz strenger Verbote regelrechte Massaker an. Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung die illegale Jagd ablehnt, gibt es bis heute keine wirksamen Kontrollen. Die Umweltpolizei steht mit maximal 10 Beamten pro Schicht einer Übermacht von mehr als 15.000 Jägern und Vogelfängern gegenüber. Wie in weiteren Ländern werden jedes Jahr Zugvogelschutzcamps mit internationaler Beteiligung durchgeführt.
Spanien
Auf dem Weg zu ihrem westafrikanischen Winterquartier überqueren Zugvögel die Iberische Halbinsel. Dort werden sie von ca. 980.000 Jägern erwartet. Da anderes jagdbares Wild wie in weiteren Ländern Südeuropas im Laufe der Jahrhunderte weitgehend ausgerottet worden ist, ist die Jagd auf Zugvögel weit verbreitet. Insgesamt 36 Vogelarten sind zum Abschuss freigegeben, darunter Gänse- und Entenarten, Wachteln, Turteltauben, Drosseln und der Star. Die jährliche Vogel-Jagdstrecke in Spanien beläuft sich auf rund 11 Millionen Vögel!
Auch der Fang von Vögeln ist in einigen Gegenden noch erlaubt. Je nach Region wird mit Schlagnetzen und Schlagfallen den Vögeln nachgestellt. In Katalonien und Valencia werden trotz eindeutiger Vorgaben der Europäischen Union jährlich weiterhin zahllose Drosseln mit Leimruten gefangen.
Italien
Kaum haben die Zugvögel im Herbst die italienische Grenze Richtung Afrika überflogen, geraten sie in den Bleihagel hunderttausender Jäger. Von Mitte September bis Anfang Februar sind 36 Vogelarten in Italien zum Abschuss freigegeben – die meisten davon sind Feldlerchen, Singdrosseln, Turteltauben, Wasser- und Wattvögel. Die Behörden erlauben den 710.000 Jägern an 60 Jagdtagen ein Abschusskontingent von 30 Vögeln pro Tag, insgesamt fallen dieser Leidenschaft in jedem Jahr mehr als 17 Millionen Vögel zum Opfer. Insbesondere rings um den Gardasee, auf Sardinien und entlang der süditalienischen Küste wird zudem immer noch mit Fallen und Netzen gewildert.
Doch seit einigen Jahren lehnen immer mehr, meist junge Italiener die Jagd ab. Viele haben sich zu lokalen Aktionsgruppen zusammengeschlossen, um sich für einen besseren Zugvogelschutz zu engagieren. Naturschützer aus vielen europäischen Ländern überwachen im Rahmen von Zugvogelschutzcamps die Zugwege der Vögel, bauen gemeinsam mit Behördenvertretern illegale Fallen ab.
Frankreich
Ungefähr 1,3 Millionen Jäger und Vogelfänger wehren sich erbittert gegen jegliche Einschränkung des während der französischen Revolution erstrittenen Jagdrechts für jedermann. Vogelfang, Frühlingsjagd auf heimkehrende Zugvögel, Jagd selbst während der Brutzeit und eine im Herbst völlig ausufernde Jagdleidenschaft – in vielen französischen Departements ist dies bis heute eine Selbstverständlichkeit. Naturschützer aus ganz Europa wollen mit Unterstützung des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission die Regierung zwingen, die bereits seit 1979 gültige EU-Vogelschutzrichtlinie in nationales Recht umzusetzen, stoßen jedoch bislang auf Granit. Denn selbst französische Spitzenpolitiker schätzen gegrillte Singvögel als Delikatesse.
Nahezu alle traditionellen europäischen Vogelfangmethoden der letzten Jahrhunderte wurden in Frankreich als einzigem Land in der EU per Ausnahmegenehmigung auch im 21. Jahrhundert erlaubt: Je nach Region sind Rosshaarschlingen, Netzfanganlagen, Steinquetschfallen, Fangnetze und Leimruten im Einsatz. Ein Schlupfloch in der Richtlinie macht es möglich. Mitgliedstaaten können Ausnahmen erlauben, wenn der Vogelfang aus traditionellen Zwecken nötig scheint, die angewendeten Methoden selektiv eingesetzt und nur geringe Mengen von Vögeln betroffen sind. Diese Voraussetzungen treffen allerdings auf keine der Fangmethoden zu. Deshalb nennt die Regierung absurd niedrige Fangquoten, Gefälligkeitsgutachten jagdnaher Institute belegen die Selektivität der Fangmethoden, und was „traditionell" und „nötig" ist, entbehrt jeder Faktenlage. Brüssel schaut dem bislang fast tatenlos zu!
Deutschland
Die bundesdeutsche Jagdgesetzgebung stammt noch aus den 1930er Jahren und wurde nie umfassend novelliert. Moderne ökologische Erkenntnisse haben bis heute keinen Einzug gefunden. Auch hierzulande gehen Jäger auf Zugvogeljagd und setzen Fallen ein. Die Jagd ist selbst in Schutzgebieten fast überall erlaubt, Vögel werden während der Brutzeit legal geschossen.
Für die Jagd auf eigentlich geschützte Vogelarten wie Graureiher, Kormorane und Rabenvögel gibt es großzügige Ausnahmegenehmigungen. Zur Begründung werden angebliche wirtschaftliche Schäden in der Land- bzw. Fischereiwirtschaft und der angeblich notwendige Schutz anderer heimischer Arten vor diesen Vogelarten angeführt. Die von Jägern und Fischern hervorgebrachten Argumente sind jedoch wissenschaftlich nicht belegt. Für den Artenrückgang sind andere Gründe verantwortlich, vor allem die Zerstörung ihrer Umwelt, beispielsweise bei Fischen durch Baumaßnahmen an Gewässern und dem damit einhergehenden Verlust von Lebensraum und Laichplätzen. Fang, Vergiftung und Abschuss geschützter Arten – vor allem von Greifvögeln – ist in manchen Teilen Deutschlands noch weit verbreitet, eine funktionierende Jagdaufsicht existiert nicht.
Der Fang von Wildvögeln für den Kochtopf oder die Käfighaltung ist seit Jahrzehnten verboten. Mit der Verabschiedung des ersten Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 1979 war auch der bis dahin in einigen Bundesländern noch erlaubte Fang von Finken zur Käfighaltung in Wohnungen verboten. Trotzdem ist die Tradition des Vogelfangs insbesondere in den Bergbaugebieten im Harz und Nordrhein-Westfalen lebendig. Hier gibt es noch viele sogenannte „Waldvogelhalter", die meist legal Dompfaffe, Stieglitze und andere einheimische und unter Naturschutz stehende Finken züchten. Zum Teil gehen sie jedoch auch illegal mit Netzen auf die Vogeljagd; die erbeuteten Vögel gelangen zur „Blutauffrischung" in die Zuchten oder werden unter der Hand verkauft.
Um genügend Tiere vor die Flinte zu bekommen, werden jagdbare Arten gezüchtet und später ausgesetzt. Sehr beliebt sind Fasane, die in Fasanerien zu Tausenden auf engstem Raum gezüchtet und kurz vor der Jagd freigelassen werden, damit sie als bunte Zielscheiben den selbsternannten „Naturschützern" dienen. Auf Internetseiten werden sie je nach Jahreszeit zum Stückpreis von 10 bis 14 Euro angeboten, bei Abnahme größerer Stückzahlen gibt es bis zu 50% Rabatt. In der Nähe von Gewässern werden in großen Mengen Zuchtenten freigelassen, welche durch illegal ausgebrachtes Futter die betroffenen Gewässer nachhaltig schädigen.
Damit nicht allzu zahme Tiere während der Jagdzeit zum Abschuss kommen, wurde in den jeweiligen Verordnungen zur Durchführung der Landesjagdgesetze festgelegt, bis zu welcher Frist vor Beginn der Jagdsaison die Tiere „ausgewildert" werden müssen. Um die Tiere bis dahin an Ort und Stelle zu halten, ist es erlaubt, sie zu füttern. Die hinter dem vergleichsweise frühen Aussetztermin steckende Idee wird dadurch konterkariert. Die durch ihre Aufzucht an Menschenhände gewöhnten Tiere laufen nichtsahnend auf ihre Mörder zu.
Besonders grausam ist die häufige Jagd mit Schrotkugeln als Munition. Unzählige Tiere, besonders Vögel, werden dabei nur angeschossen, sterben aber nicht gleich, weil keine lebenswichtigen Organe getroffen wurden. Sie verenden erst später an ihren Verletzungen oder an Bleivergiftung. Jede vierte Wildente und jede dritte Wildgans lebt mit einer Schrotschussverletzung. Dänische Biologen gehen sogar von Zahlen über 50% aus. Deutschlands Jäger ballern jährlich 1.500 Tonnen hochgiftiges Bleischrot in die Böden und Gewässer, das dann von Pflanzen, Tieren und Menschen aufgenommen wird. Der Leiter der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer, Thomas Brand, sagte in einem Interview, dass die häufigste Todesursache von Seeadlern heute die Bleivergiftung ist.