Oberbürgermeister von Stuttgart reagiert ablehnend auf gezielte Fütterungsplätze
Matthias Gottfried, Mitglied im Gemeinderat (Partei Mensch, Umwelt, Tierschutz), hatte im Namen von StraßenTAUBE und StadtLEBEN e.V. (Vorstand Britta Leins) gebeten, dass diese vor einem Ausschuss einen Vortrag über betreute Futterplätze in Stuttgart halten dürfen. Darauf folgte eine umfangreiche Ablehnung inklusive Stellungnahme vom Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper. Am 15. Dezember 2023 wird im Gemeinderat über den Antrag des Vortrages abgestimmt. Wir haben daher eine Stellungnahme an den Gemeinderat und den Oberbürgermeister gesendet, welche zum Großteil auf der vorherigen Stellungnahme vom Oberbürgermeister basiert.
Stuttgart, 14. Dezember 2023
Betreff: Fütterungsverbot von Stadttauben in Stuttgart – Anhörung vor Gemeinderat
Sehr geehrter Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper,
sehr geehrter Gemeinderat,
ich schreibe Ihnen im Namen von Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg e.V., einem gemeinnützigen Verein, der sich bereits seit 1983 erfolgreich für die Rechte der Tiere einsetzt. Wir haben erfahren, dass Sie den Antrag einer Anhörung vorm Gemeinderat vom Verein StraßenTAUBE und StadtLEBEN e.V. abgelehnend bewertet haben. Das finden wir sehr bedauerlich, da solch ein Austausch ja wichtig ist, um das Leid der Stadttauben, für welche die Städte eine Fürsorgepflicht tragen, zu mindern und auch langfristig ihre Population zu senken.
Wir wissen, dass die Stadt Stuttgart bereits einiges für die Stadttauben tut und es 16 Taubenschläge gibt. Langfristig sind diese Taubenschläge die einzige Lösung, um die Stadttaubenpopulation nachhaltig und tierschutzkonform zu senken.
Ein Taubenhaus kann je nach Größe zwischen 100 und 200 Stadttauben versorgen und ihre Population durch Eiaustausch kontrollieren. In Stuttgart soll es etwa 12.000 Stadttauben geben. Es ist somit klar, dass die vorhandenen Taubenhäuser nicht ausreichen. Es müssten mindestens 44 weitere Schläge errichtet werden, um in einer solch großen Stadt wie Stuttgart die Problematik flächendeckend anzugehen.
Ist man sich nun aber bewusst, dass mindestens 44 Taubenschläge in Stuttgart fehlen und arbeitet an dieser Problematik, indem man sich aktiv um Standorte bemüht, macht eine vorübergehende Fütterungserlaubnis durchaus Sinn. Wieso also ein Vortrag vor dem Gemeinderat zu dieser Thematik abgelehnt wird, können wir nicht nachvollziehen.
Gezielte Fütterungen, um Tiere aus Kerngebieten der Stadt fernzuhalten, sind aus Tierschutzsicht und zur Entlastung der Bevölkerung zu befürworten. Die Tiere kommen aus Hungersnot in die Innenstädte, da sie sich als einst ausgesetzte Haustiere nicht selbst versorgen können. Wenn sie artgerechtes Futter erhalten und somit satt sind, sollte dies zu einer Entlastung in der Innenstadt führen. Hungrige Tauben erhöhen die Belästigung der Bevölkerung und Geschäftsleute.
Die Tiere sitzen z. B. auf Tischen, holen sich Essenreste direkt von den Tellern, laufen durch belebte Fußgängerzonen, warten oberhalb von Cafés und beschmutzen Tische und Stühle, laufen in Bäckereien und Supermärkte hinein, wo sie nur schwer wieder herauszufangen sind etc.
Natürlich sollten diese Fütterungen nur dort genehmigt werden, wo es keine ausreichende Anzahl an Taubenschlägen gibt. Auch der flüssige Hungerkot kann so aus der Innenstadt weitestgehend ferngehalten werden. Die durch Fütterungsverbote geschwächten Tauben leiden häufig unter Darmerkrankungen mit der Folge, dass sie flüssigen Kot ausscheiden, der in Form von Schlieren die Fassaden von Gebäuden verschandelt. Dagegen setzen die durch artgerechtes Futter gesund erhaltenen Tauben einen geformten, trockenen Kot ab.
Nachfolgend nehmen wir zu ein paar Ihrer Aussagen zu dieser Thematik Stellung
1) "Zahlreiche Verluste sind nachweislich nicht dem Hungertod oder dem Verzehr von Lebensmittelresten geschuldet, sondern der Ausbreitung von Infektionen, die dadurch möglich ist, dass sich die Tiere an Futter- und Brutplätzen dicht konzentrieren und dabei die Erreger überspringen können."
Der Körper muss bei Nahrungsentzug die notwendige Energie zum Erhalt wichtiger Körperfunktionen aus seinen Energiespeichern gewinnen. Zur Deckung des Energiebedarfs wird auf Energievorräte in Form von Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten zurückgegriffen. Durch den Proteinverlust kommt es zu Beeinträchtigung der Immunabwehr und zu Infektionen.
Tauben sind von Natur aus Körner- und Samenfresser. Natürliches Futter aber steht ihnen in der Stadt nur in äußerst geringem Umfang zur Verfügung (etwa Samen von Wildkräutern). Da Nahrungsabfälle aus der Freiluftgastronomie nur während der warmen Jahreszeit vorhanden sind und wegen des Vitamin- und Mineralstoffmangels zu Mangelernährung führen, sind die Stadttauben, um gesund überleben zu können, auf die Fütterung der Taubenfreunde mit artgerechtem Körnerfutter angewiesen.
2) ,,Die Bereitschaft der Grundstückseigentümer ist hier der limitierende Faktor, da meist befürchtet wird, dass in der Umgebung wartende Tauben durch Verschmutzung den Wert der Immobilie beeinträchtigen. Daher könnten auch betreute Futterplätze in Stuttgart nur an Stellen errichtet werden, die mehrere Hundert Meter von der nächsten Bebauung liegen, da sonst wartende Tauben in großer Zahl benachbarte Gebäude mit Kot verschmutzen und versuchen, (unerwünscht) Nester in der Nähe der Futterquelle zu etablieren. Somit kommen nur größere Grünflächen infrage, die sich in städtischem Eigentum befinden. Die großen Parks in der Innenstadt sind überwiegend Eigentum des Landes, das sich schon gegen die Aufstellung von Taubentürmen verwehrt hat.”
Wir verstehen, dass die Standortsuche viel Arbeit bedeutet und auf Hindernisse stößt. Allerdings sehen wir das Potenzial noch nicht als erschöpft. Einerseits kann man aktiver auf Geschäfte und die Bevölkerung einwirken, indem man Kampagnen zur Aufklärung startet, sodass ein Taubenschlag auf einem Geschäft ein Marketingtool werden kann. Auch das letzte Eurobarometer hat wieder gezeigt, dass den Menschen Tierschutz wichtig ist.
Außerdem sollte die Stadt aktiv nach öffentlichen Gebäuden und Flächen suchen, um alle Kapazitäten zu nutzen. Flächen, die dem Land gehören, sollten konkret angefragt werden und stetig ggf. auch mit Nachdruck auf die Dringlichkeit weiterer Taubenschläge verwiesen werden. Wenn Sie dabei Unterstützung brauchen, können Sie sich gerne jederzeit an uns wenden. Wir sind Mitglied im Landestierschutzbeirat und können Anliegen zweimal jährlich direkt vor Minister Hauk vortragen. Außerdem erarbeiten wir gerade eine Petition, die vom Land mehr Unterstützung bei der Errichtung und dem Erhalt von Taubenschlägen einfordert. Die Landestierschutzbeauftragte Frau Dr. Stubenbord beschäftigt sich ebenfalls mit der Taubenproblematik und könnte für weitere Lösungsfindungen kontaktiert werden.
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft SWSG ist zum Beispiel Eigentümerin eines großen Teils der Gebäude im Leonhards- und im angrenzenden Bohnenviertel.
3) ,,Tiere, die die gesamte Hellphase zur Futtersuche aufwenden müssen, stellen die Legeaktivität fast völlig ein und haben, weil sie keine Kropfmilch zur Kükenaufzucht bilden, trotz großer Flugaktivität
ein höheres Körpergewicht als brütende Tiere mit von Menschen stammender Futterversorgung.”
Zu dieser Aussage würden wir uns für eine Quelle interessieren. Wir vermuten, das bezieht sich dann nur auf Tiere, die wirklich stark hungern. Denn letztlich sind Stadttauben genauso wie andere vom Menschen genutzte Vogelarten auf Leistung gezüchtet. Deshalb setzen Masthühner Fleisch an, bis ihre Knochen
brechen und Legehennen legen täglich ein Ei, obwohl es ihnen so viele Nährstoffe entzieht, dass sie nach zwei Jahren bereits ausgelaugt sind und im Schlachthof landen. Natürliche Regulationsmechanismen wurden vom Menschen ausgehebelt und die Stadttaube ist auf starke Fortpflanzung gezüchtet worden. Tiere, die das einstellen, müssen also körperlich am Ende sein. Ein derartiger Ansatz ist nicht nur grausam, sondern auch nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar.
Der Mensch hat in einer 6.500 Jahre dauernden Domestikation die Felsentaube, die Stammform aller Haustaubenrassen, durch Züchtung nach seinen Vorstellungen geformt. Er hat ihre Fruchtbarkeit gesteigert (ganzjähriges Brüten) und ihre Scheu vor dem Menschen gemindert.
Auch hungernde Tauben brüten nachweislich, können aber bei Futtermangel ihre Nestlinge nicht aufziehen oder nur geschwächt oder krank in die Selbstständigkeit entlassen. Zu der Thematik empfehlen wir dir umfangreiche Doktorarbeit von Daniel Haag (https://www.researchgate.net/publication/34429532_Ein_Beitrag_zur_Okologie_der_Stadttaube_Columba_livia_livia_Gmelin_1789), in welcher er unter anderem folgendes Fazit zieht: ,,Hunger-, Vitamin- und Nährstoffmangel wirken sich nicht negativ auf die Anzahl der Gelege und die Anzahl der daraus schlüpfenden Nestlinge aus […] Der Hauptgrund für die hohe Sterblichkeit aber dürfte die schlechte Ernährungsgrundlage der Eltern sein.”
Ebenso ein Zitat aus einer neueren Studie: „Der stark reduzierte Erfolg der Aufzucht von Nestlingen ist jedoch der entscheidende Faktor im Fortpflanzungszyklus, der die Fortpflanzung der verwilderten Tauben unter Futterbeschränkungen stark limitiert […]Unsere Ergebnisse zeigen, dass, wenn erwachsene Tauben nach Nahrungsentzug in die Brut investieren, die begrenzten Nahrungsgrundlagen vor allem die Nestlinge betreffen. […] Zusammenfassend führt der erhöhte Energiebedarf älterer Nestlinge bei beschränkter Energieaufnahme der Elterntiere zu erhöhter Nestling-Sterblichkeit“ [Haag-Wackernagel, „Food shortage affects reproduction of Feral Pigeons Columba livia at rearing of nestlings, International Journal Of Avian Science 2016, S. 776-783 (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/ibi.12385).
Fütterungsverbote für Stadttauben werden in manchen Bundesländern schon seit über 20 Jahren erlassen. Es gibt in Deutschland keine Stadt, die behauptet, mithilfe eines Fütterungsverbotes das Stadttaubenproblem gemindert oder gar gelöst zu haben.
4) ,,Ebenfalls wissenschaftlich und empirisch erwiesen ist es, dass Tauben bei ausreichender Futterverfügbarkeit immer so lange Junge großziehen, bis das Futter irgendwann nicht mehr ausreicht. Dann verhungern die schwächsten in der Population, was dann entweder unerfahrene Jungtiere oder kränkelnde Alttiere sind. Diesen Regulationsmechanismus kann man zwar durch eine ständige Steigerung der Futtermenge aushebeln, erhält dann aber eine stetig wachsende Population mit einem steigenden Anteil chronisch kränkelnder Tiere, also das Gegenteil einer stabilen, gesunden Population.”
Hat man feste Futterstellen, die von sachkundigen Personen betreut werden, können die Tiere hier auch tierärztliche Hilfe erhalten. Dass Hungern oder nicht artgerechtes Futter das Immunsystem schwächt und so zur Verbreitung von Krankheiten führt, haben wir bereits unter Punkt eins erläutert.
Ihre weitere Argumentation finden wir höchst problematisch. Sie empfehlen hier quasi das Verhungern lassen von Jungtieren und kranken Alttieren. Auch das ist für Nachfahren ausgesetzter Haustiere, welche sich nicht eigenständig versorgen können, nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar.
Bei Tauben brüten und füttern beide Elternteile. Fällt infolge von Hunger und tödlicher Erkrankung ein Elternteil aus, sind die Nestlinge oder Jungtauben dem Hungertod preisgegeben. Hierbei handelt es sich um Tierquälerei und damit um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.
Langfristig müssen zur Populationskontrolle natürlich ausreichend Taubenschläge geschaffen werden, doch bis dahin bewusst Tiere verhungern zu lassen, ist keine humane oder rechtlich zu akzeptierende Methode.
Wir möchten an dieser Stelle auch auf die Möglichkeit der Sterilisation von Stadttauben hinweisen, welche einfacher wird, wenn die Tiere bereits an feste Futterstellen gewöhnt sind. Die minimalinvasive endoskopische Sterilisation von männlichen Stadttauben kann eine ergänzende Maßnahme zu den betreuten Taubenschlägen darstellen. Das Operationsrisiko für die Tauben gilt (abhängig vom Gesundheitszustand des Tieres) als sehr gering und das natürliche Balz-, Brut- und Territorialverhalten der Tiere bleibt nach dem Eingriff erhalten. Durch die Sterilisation kann auf die Vermehrung derjenigen Stadttauben Einfluss genommen werden, die nicht oder noch nicht in Schlägen betreut werden.
5) ,,Ein Anteil der Gesamtpopulation von mehreren tausend Tieren wird im Wesentlichen dadurch ernährt, dass Menschen entgegen des Fütterungsverbots täglich große Mengen Getreide ausbringen, ohne dass den gefütterten Tieren dabei gleichzeitig eine Unterkunft mit Eientnahme angeboten wird.”
Auch hierzu wäre eine Quelle interessant. Bei einem Gespräch mit Behördenvertretern in Stuttgart sagte dazu der dortige Leiter des Ordnungsamtes: Unser Problem sind nicht in erster Linie die 15 oder 20 Taubenfütterer sondern die Abfälle der Freiluftgastronomie.
6) ,,Wie weit die an den Futtererwerb in Fußgängerzonen adaptierten Tauben für eine Getreidefütterung fliegen würden, ist nicht bekannt. Die Standortsuche wird daher genauso schwierig wie für Taubenschläge und ist mit den Gegebenheiten in Herrenberg in keiner Weise zu vergleichen.”
Stadttauben sind standorttreu, daher ist ihr Radius mit etwa 200 Metern klein. Allerdings kann man sie stückweise gezielt an eine neue Stelle umsiedeln, indem man die Fütterungsstelle stetig weiter verschiebt, sobald die Tiere an der Stelle angesiedelt sind.
Fazit
Die ethische Behandlung von Tieren wird in unserer Gesellschaft zunehmend eingefordert. Es gibt Firmen wie VitaGood (https://vitagood.de/), die darauf spezialisiert sind, Gutachten zu erstellen und Lösungsansätze zur tierschutzgerechten Reduktion der Taubenpopulation zu entwickeln.
Ließe sich ein Fütterungsverbot in der Praxis durchsetzen, das bedeutet könnte man durch konsequente Überwachung verhindern, dass Futter ausgestreut wird, und ließe sich zusätzlich die Verringerung der Nahrungsabfälle erreiche, käme es vermehrt zum Hungertod von Nestlingen und Jungvögeln und zur Schwächung und zu Krankheiten bei erwachsenen Tieren. Aus diesem Grunde rechnet Prof. Dr. Nicolai, ehemals wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Vogelforschung "Vogelwarte Helgoland", konsequent durchgeführte Fütterungsverbote den Tötungsmaßnahmen zu.
Die in den Städten lebenden verwilderten Tauben sind vollständig vom Menschen abhängig. Ein konsequent durchgeführtes Fütterungsverbot ist daher eine Methode der Reduzierung der Stadttauben durch langsamen Hungertod. Demgegenüber besteht seitens der Gemeinde eine Pflicht zur Versorgung der Tiere, hergeleitet aus ihrer Eigenschaft als Fundtiere, vgl. § 965 Abs. 2 BGB.
Es sollte alles unternommen werden, um wildes Füttern an ungeeigneten Plätzen mit nicht artgerechtem Futter zu unterbinden. Gleichzeitig müssen aber für die Tiere, für welche gerade keine Taubenschläge vorhanden sind, vorübergehende Lösungen in Form von festen Futterplätzen durch sachkundige Personen geschaffen werden. Daher ist es besonders bedauerlich, dass ein direkter Austausch zu der Thematik verweigert wurde.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen nochmal verdeutlichen, was es bedeutet, zu verhungern. Neben dem bereits erwähnten geschwächten Immunsystem, wird Herzmuskelmasse abgebaut und nach und Nach erliegen Stoffwechselvorgänge. Über die Zeit werden vermehrt Stresshormone ausgeschüttet und sobald die Kompensationsmechanismen zur Kohlenhydratversorgung des Gehirns erschöpft sind, treten Angstzustände und Bewusstseinsbeeinträchtigungen ein. Dies alles ist ein langsamer quälender Prozess. Erst wenn ein Drittel bis die Hälfte der körpereigenen Proteine aufgebraucht sind, tritt schließlich der Tod ein. Hungern ist ein äußerst schmerzhafter und kräftezehrender Zustand.
Ich bedanke mich für Ihre Zeit. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Quellen werden auf Anfrage gerne zugesendet. Schreiben Sie uns einfach eine Mail: info@tierrechte-bw.de