Zelluläre Landwirtschaft: Laborfleisch als Übergangslösung zum Ausstieg aus der Tierhaltung?
Heute vor knapp zehn Jahren präsentierte das niederländische Forschungsunternehmen Mosa Meat unter der Leitung von Prof. Dr. Mark Post den ersten Hamburger, für den kein Tier geschlachtet werden musste: Clean Meat, In-Vitro-Fleisch, kultiviertes Fleisch oder umgangssprachlich auch Laborfleisch genannt – so heißt die Idee, mit dessen Hilfe man Tierleid drastisch reduzieren, dem Welthunger enorm entgegenwirken und den Ausstoß von Treibhausgasen auf lange Sicht sehr effektiv reduzieren könnte. In den vergangenen zwei Jahren sind Dutzende von Unternehmen entstanden, die Abermillionen Dollar in die Forschung von Fleisch aus dem Labor investieren. Sie heißen Mosa Meat, Meatable, Higher Steaks, SuperMeat, Future Meat Technologies oder Redefine Meat. Mit dabei sind auch die großen Konzerne der Branche wie der größte deutsche Geflügelzüchter und -verarbeiter PHW, der Agrar-Multi Cargill oder das größte US-Fleischunternehmen Tyson.
Laut den Wissenschaftlern der Universität Jiangnan konzentrieren sich rund 30 Prozent der neuen Unternehmen auf die Herstellung von Schweinefleisch, 12 Prozent auf Meeresfrüchte, 10 Prozent auf Geflügel. Der Rest forscht an Komponenten für die gesamte Produktionskette. Dabei existieren regionale Unterschiede: In Australien wird an Känguru-Fleisch laboriert, in Europa und Japan an Gänseleber und in China an Fisch.
Weltweit tut sich also einiges. Der größte Haken für die Etablierung der neuen Methoden sind momentan noch die Kosten und die großflächige Umsetzbarkeit. Auch die Zulassung stellt eine weitere Hürde. Synthetisches Fleisch ist im Durchschnitt noch immer mindestens hundert Mal teurer als Tierfleisch. Aber auch hier lässt sich einiges an Entwicklung über die Jahre vorweisen.
Anstatt in einer Tierfabrik wird in-vitro-Fleisch in einer Petrischale gezüchtet; anstatt in einem Schlachthaus getötet, wird es im Labor geerntet. Alles, was man für die Herstellung von circa 10.000 Kilogramm In-vitro-Rindfleisch benötigt, ist ein walnussgroßes Stück Fleisch. Der Nachteil daran sind allerdings die Kosten, denn der Hamburger, an dem in den Niederlanden bereits seit den 90er-Jahren geforscht wurde, hatte zum Zeitpunkt seiner Präsentation noch knapp 250.000 Dollar gekostet – ein Preis, der den Hamburger alles andere als marktreif machen konnte. Heute würde ein solches Exemplar rund 10 Euro kosten, würde es in Massen produziert werden können, woran derzeit intensiv gearbeitet wird. Momentan ist es technisch noch nicht möglich, das Fleisch grundlegend billiger zu produzieren. Staatliche Fördermittel und Unterstützung bei der Etablierung der Produkte wären wünschenswert, vor allem deutschlandweite Forschungsinstitute bemängeln die fehlende finanzielle Unterstützung seitens der Regierung. Großes Interesse zeigen Start-ups, die verschiedene Forschungsprojekte an Universitäten durchführen und gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Seit 2013 hat sich dennoch etwas getan: So hat sich vor allem die gesellschaftliche Haltung gegenüber dem Laborfleisch verändert. Denn im Zuge der Klimakrise und aufgrund der Bilder, die uns täglich über die unvorstellbaren Qualen, die landwirtschaftlich gehaltenen Tieren angetan werden, erreichen, scheint es, als könnte Laborfleisch eine Chance bekommen.
Aktuelles
An der Hochschule Reutlingen und der Uni Hohenheim gibt es ein Gemeinschaftsprojekt, in dem ebenfalls an der Weiterentwicklung in Richtung industrielle Produktion von Laborfleisch geforscht wird. Mithilfe eines 3-D-Druckers werden hier sogar schon „Mini-Steaks“ produziert. Die Projektleiterin Petra Kluger ist guter Dinge, dass in wenigen Jahren dann Produkte wie Würstchen oder Füllungen für Ravioli aus Kulturfleisch realisierbar sein könnten. Bisher ist es selbst den Laborfleisch-Pionieren nur gelungen, hackfleischähnliche Produkte herzustellen, wie beispielsweise Burger-Patties oder Nuggets.
So wird In-vitro-Fleisch hergestellt
Ganz ohne Tierleid kommt die Herstellung von Laborfleisch leider nicht aus, denn man braucht immer wieder von neuem eine kleine Menge an Muskelgewebe aus einem lebendigen oder frisch geschlachteten Tier. Durch Muskelbiopsie erfolgt die Entnahme von Muskelstammzellen, ein Eingriff, der in jedem Fall mit Schmerzen verbunden ist, da der Muskel für diese Entnahme nicht betäubt werden darf. Die Muskelbiopsie dauert wenige Minuten; ein Arzt schneidet ein Stück Muskelgewebe aus dem Tier heraus, um es im nächsten Schritt dann im Labor kultivieren zu können - ein Vorgang, der Tissue Engineering genannt wird; er umfasst die künstliche Herstellung von biologischem Gewebe durch gerichtete Kultivierung von Zellen. In dem aus dem Tier herausgeschnittenen Muskelgewebe befinden sich adulte Muskelstammzellen. Das sind Zellen, die sich durch asymmetrische Zellteilung bis ins Unendliche weiter teilen und vermehren, wodurch sich nach einer gewissen Zeit in Zellkultur faserartiges Muskelgewebe bildet, ähnlich wie beim Tier. Auch das für Fleisch typische Fettgewebe kann im Labor gezüchtet werden.
Damit diese Muskelstammzellen allerdings wachsen können, benötigten sie ein Nährmedium, welches unter anderem aus fetalem Kälberserum besteht- das ist frisches Blut aus einem Kälberfötus. Für die Gewinnung des Kälberserums muss die schwangere Kuh geschlachtet und das Kalb aus der Gebärmutter herausgeschnitten werden. Dem Kalb wird dann solange Blut entzogen, bis es leer ist und stirbt. An dieser Stelle können wir aufatmen, denn mittlerweile wird hartnäckig daran gearbeitet, das Kälberserum-Nährmedium durch tierfreie Kulturmedien zu ersetzen - beispielsweise aus Pflanzen und Algen.
Letztlich ist die Produktion von Laborfleisch noch ausbaufähig und kommt nicht ganz ohne Tierleid aus. Quantitativ betrachtet entsteht weitaus weniger Tierleid bei gleicher Fleischmenge; die Massentierhaltung würde beendet werden können. Es gäbe keine Tiertransporte mehr. Treibhausgase - vor allem Methan verursacht durch Rinder sowie auch CO2, das bei der Produktion von deren Futter entsteht, könnten massiv eingespart werden. Für den Erhalt der Grünlandschaft könnten Rinder auf der Weide gehalten werden, ohne sie schlachten oder für eine andere Art des Nutzens gebrauchen zu wollen. Oder man ließe der Natur freien Lauf und ließe damit die natürlichen Kohlenstoffspeicher der Erde, die Bäume, wiederkommen. In Zeiten des Klimawandels wäre das durchaus eine sinnvolle Überlegung.
Wir hoffen, dass Laborfleisch bald ganz ohne Tierleid hergestellt werden kann. Was es heute und auch in Zukunft bereits ganz ohne Tierleid gibt, sind pflanzliche Alternativprodukte. Für uns bleiben sie daher die wahre Alternative, auch wenn wir Entwicklungen, die Tierleid mindern, natürlich befürworten.
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